Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
herunterkommen sah.
»Was für ein ungewöhnliches Gespann kleiner Männer! Wen haben wir denn hier, Giulia, meine Schöne der Nacht?«
»Ich bin Marco«, informierte ihn der Junge.
»Was für ein niedlicher Cherub!«
»Komm zu deiner Mutter!« Giulia breitete lächelnd die Arme aus, und der Junge ließ die Hand des Zwergs los und lief bereitwillig hinein.
»Gestatten, Giustiniano, ein unbedeutender Zwerg von weit her.« Giustiniano verneigte sich höflich. »Exzellenz.«
Der Kardinal betrachtete ihn fasziniert. »Hast du eine feste Anstellung?«
Giustiniano warf Giulia einen schrägen Blick zu. »Nein, ich bin eher auf der Durchreise.«
»Mit festem Ziel?«
»Ja – mich zieht es dahin, wo Scherze keine Eintagsfliegen sind.«
»Verstehst du dich auf Späße und Zoten?«
»Wenn sie Stil und Charakter haben, so wie die Leute, denen sie gefallen sollen.«
»Arbeitest du schon lange als Hofnarr?«
Giustiniano hob die zottigen roten Brauen. »Zeit liegt wie Schönheit im Auge des Betrachters. Für manche verrinnt sie rasch, für die anderen dauert sie ewig.«
Der Kardinal war beeindruckt. »Kannst du ihn entbehren?«, fragte er seine Gastgeberin.
»Jederzeit«, meinte Giulia gelassen. »Am besten nimmst du ihn gleich mit, denn er hat in Florenz kein Zuhause, und nach Venedig kann er auch nicht zurück.«
»Aber …« Giustiniano wog seine Möglichkeiten ab und beendete seinen Protest, noch bevor er richtig dazu angesetzt hatte. »Ich komme gern mit Euch, Exzellenz, als Hofnarr oder als was auch immer. Wenn es nach Rom geht, bin ich dabei.«
Giulia herzte ihren Sohn und stellte ihn auf die Füße, bevor sie sich zu Giustiniano umwandte. »Komm zuerst rasch mit in den Salon. Man sagt mir vieles nach, aber ich halte immer mein Wort.«
Nach dem Aufbruch des Kardinals wurde die Stadt förmlich von den Aufständischen überflutet. Der Bote kam später noch einmal zurück, um Giulia einen großen, prall gefüllten Lederbeutel zu überreichen.
»Von seiner Exzellenz, auf dass Ihr ihn niemals vergessen mögt.«
»Ganz bestimmt nicht.« Giulia wog beeindruckt den Beutel in beiden Händen. Um ihn mit einer Hand zu halten, war er ganz offensichtlich zu schwer. »Ich hoffe, der Gute konnte fliehen, bevor die Meute seinen Kopf nahm.«
»Er hat sich davongemacht, gerade noch rechtzeitig, bevor der Pöbel den Palast in ein Tollhaus verwandelte.« Der Bote weinte fast. »Sie haben alles zerstört, was nicht niet- und nagelfest war. Was sie tragen konnten, haben sie weggeschleppt. Man kann von Glück sagen, dass sie den Palast nicht noch angezündet haben! Ich habe den Medici seit meiner Kindheit treu gedient, inzwischen mehr als dreißig Jahre, und für mich war es das bitterste Ereignis meines Lebens, dieser Vernichtung tatenlos zusehen zu müssen.« Er verabschiedete sich, um seinen Herren nachzureisen.
Girolamo kam um die Mittagszeit vom Oltrarno herüber und baute sich vor dem kleinen Stadthaus auf, ein schweigender menschlicher Schutzwall. Hoch aufgerichtet stand er dort, abgestützt auf einem gewaltigen Bidenhänder, der ebenso schartig und gefährlich aussah wie das Schwert, das er in Venedig in seinem Torhüterhäuschen hatte zurücklassen müssen. Niemand versuchte, an ihm vorbeizukommen, und erst recht wagte es keiner der Rebellen, ihn zum Kampf herauszufordern.
Den ganzen Tag über tobte sich der Mob in den Straßen von Florenz aus. Mit brennenden Fackeln versuchten die Menschen, die Paläste der Reichen zu stürmen, und dort, wo es ihnen gelang, plünderten und zerstörten sie in hemmungsloser Gier alles, was ihnen in die Hände geriet. Jeder, der so unvorsichtig war, sich ihnen in den Weg zu stellen, wurde niedergeknüppelt oder, wenn er Pech hatte, gleich umgebracht. Nachdem bei den Adligen und den begüterten Kaufleuten nichts mehr zu holen war, entzündete sich die Wut der Aufrührer an den Verwaltungsbeamten, unter deren Knute das Volk jahrelang hatte bluten müssen. Die Steuereintreiber, soweit man ihrer habhaft werden konnte, wurden grün und blau geprügelt, und einige von ihnen wurden so sehr traktiert, dass sie ihren letzten Atemzug taten. Erst mit Einsetzen der Dämmerung legte sich der Zorn der durch die Stadt streifenden Gewalttäter, und müde zogen sie sich in ihre Behausungen zurück, zumeist Elendsquartiere auf der anderen Seite des Flusses, dort, wo auch Federica mit den Ihren lebte.
Die Signoria hatte den Ausschreitungen ohne Gegenmaßnahmen zugesehen – wie nicht anders zu
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