Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
von vielleicht zwei Jahren, das unter heftigem Husten litt. Sanchia untersuchte das Kind und holte anschließend ihr Schreibkästchen aus ihrem Beutel. Sie zog den Korkstopfen aus dem kleinen Tintenfass und tunkte die frisch gespitzte Feder hinein, um die Zutaten für eine Brustsalbe auf eines der Papierstücke zu schreiben, die zusammengerollt in dem Beutel steckten. »Damit geht Ihr zum Apotheker, er mischt Euch die Salbe zusammen. Ihr müsst sie zweimal am Tag auftragen, morgens und abends, aber achtet unbedingt darauf, dass sie nicht in die Nähe von Mund und Augen gerät. Legt einen Wickel an, damit die Kleine es nicht an ihre Händchen bekommen kann. Wenn der Husten in einer Woche nicht besser ist, lasst mich holen.«
    Die junge Frau beobachtete sie fasziniert. »Ihr könnt wirklich schreiben!« Sie schlug verlegen die Augen nieder. »Ist es sehr schwer?«
    Sanchia dachte an Marco und lächelte. »Manche Kinder lernen es schnell.«
    »Bei uns kann niemand schreiben. Nicht mal lesen.«
    »Wir sind auch so durchs Leben gekommen«, warf der Alte ein.
    »Ich wünschte, meine Kleine könnte es auch lernen«, widersprach die junge Frau mit unerwarteter Vehemenz. »Wer lesen und schreiben kann, ist klüger als alle anderen! Mit Klugheit kommt man besser durchs Leben!«
    »Und kann sie dann vielleicht später auf einer Schreibstube arbeiten?«, höhnte ihr Vater.
    »Nein, aber vielleicht als Heilkundige und als Hebamme.«
    Vor dem Zubettgehen saß sie mit Eleonora noch eine Weile vor dem Kamin in ihrem Zimmer. Sie lauschte dem Knacken der Holzscheite und den Geräuschen des nächtlichen Hauses. Es war nie ganz still in einer Stadt von dieser Größe, in Florenz ebenso wenig wie in Venedig. Von draußen waren manchmal die Schritte von späten Heimkehrern zu hören, und der heulende Wind ließ hier und da einen Fensterladen klappern.
    Eleonora aß die Pralinen, die sie am Vortag zubereitet und die Giulia verschmäht hatte, weil sie fett machten. Giulia achtete ständig darauf, nicht zu viel zu essen, da sie um ihre schlanke Figur fürchtete. Zu viel Hüftspeck, hatte sie erklärt, ruiniere das Geschäft.
    Eleonora musste sich diese Zwänge nicht auferlegen und aß, was die Küche hergab, obwohl Sanchia ihr mehrfach erklärt hatte, dass allzu reichliche Gewichtszunahme in der Schwangerschaft nicht gut für Mutter und Kind war. Das schwere braune Haar hing aufgelöst über ihren weit vorgewölbten Bauch und ihre bis auf Melonengröße angeschwollenen Brüste. Bis zur Niederkunft waren es nach Sanchias Berechnungen noch mindestens acht Wochen, doch Eleonora sah bereits aus wie im neunten Monat. Anfangs hatte Sanchia befürchtet, es könnte eine Mehrlingsschwangerschaft sein, doch sie hatte bisher bei den Untersuchungen immer nur ein Kind ertastet.
    Sanchia blätterte müßig in ihrem Skizzenblock und begutachtete die Skizze, die sie zuletzt angefertigt hatte – der Versuch, eine Knochenschiene aus verschiedenen Blickwinkeln wiederzugeben. Besonders kunstvoll sah es nicht aus. Zeichnen gehörte nicht zu ihren Fertigkeiten. Sie legte den Block zur Seite und nahm einen zerlesenen Band mit Pico della Mirandolas Conclusiones zur Hand. Der große Denker war vor ein paar Tagen gestorben, und sie trauerte um ihn, als hätte sie einen guten Freund verloren. Er hatte nur einen Steinwurf von ihr entfernt gelebt und würde wie Platon und Aristoteles die Jahrhunderte überdauern, doch die Gelegenheit, ihn kennen zu lernen, war unwiederbringlich vorbei.
    Seufzend blickte sie auf und betrachtete Eleonora. »Wie fühlst du dich?«
    »Wie immer«, meinte Eleonora in unverkennbar verdrossenem Tonfall.
    Sanchia hatte richtig vermutet, Eleonora war schlecht gelaunt.
    »Was ist los?«
    »Ach, ich weiß nicht. Es kommt mir vor, als wäre die Zeit stehen geblieben, als ginge es überhaupt nicht richtig weiter. Keiner wagt ein lautes Wort, alle schleichen stumm und mit bedrückter Miene umher. Nicht mal Giulia schimpft wie sonst mit mir. Sogar die Hausmädchen sind höflich und machen alles gerade so, wie man es ihnen aufträgt. Ich komme mir vor wie … wie ein Kissen in einer Hülle. Und bei alledem möchte man schreien, dass doch endlich etwas geschehen soll!«
    Sanchia betrachtete sie und dachte verblüfft, wie genau diese Beschreibung doch ihre eigenen Gefühle traf. In den letzten Tagen schien es ihr, als lebten sie hinter Wänden, die ihnen den Ausblick auf die Zukunft versperrten. Niemand konnte sagen, was schlimmer war – die

Weitere Kostenlose Bücher