Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
gichtigen Hände es je vermöchten. Aber … nun ja, also …«
Sanchia half ihm, das schwere Kreuz an die Wand zu lehnen. Sie fragte sich, wie er es allein überhaupt hatte abhängen können. Die Bronzefigur war zwar nur halb so groß wie ein Mensch, wog aber mitsamt dem Holzkreuz, auf dem sie befestigt war, sicherlich kaum weniger als Pater Alvise selbst.
»Pater, ich möchte beichten«, sagte sie befangen.
Er nickte stumm und ging voraus in das Beichtzimmer hinter der Sakristei. Sanchia kniete auf der Beichtbank nieder, während der Geistliche sich schräg hinter ihr postierte. Das war nicht unbedingt üblich, aber er war der Meinung, dass seine Schäfchen auf diese Weise eher geneigt waren, auch die schlimmeren Sünden zu offenbaren. Nicht, dass er so erpicht darauf gewesen wäre, üble Missetaten zu erfahren – es ging ihm ganz einfach um das Seelenheil der ihm anvertrauten Sünder. Aus demselben Grund war er jederzeit bereit, Einzelbeichten abzunehmen, obwohl gerade in den Nonnenklöstern wegen des beträchtlichen Zeitaufwands eher Gruppenbeichten bevorzugt wurden.
»Pater, meine letzte Beichte war vor …« Sie dachte nach. »Sie ist wahrscheinlich zu lange her«, fuhr sie fort.
Pater Alvise räusperte sich erneut, diesmal klang es tadelnd. Wie kaum ein Mensch, den sie kannte, war er in der Lage, allen möglichen Stimmungen allein durch sein Gehüstel zum Ausdruck zu verhelfen.
»Ich habe heute gesündigt. Meine Sünde wiegt schwer. Ich möchte einen Menschen töten.«
Diesmal entwickelte sich hinter ihr ein ausgewachsener Hustenanfall, der in ein asthmatisches Ächzen überging. Sanchia drehte sich besorgt um, doch der greise Pater wedelte ungeduldig mit der Hand. »Sprich weiter, Kind!«
»Nicht, dass ich ihn tatsächlich töten würde, es sei denn, in Notwehr. Es wäre eine Todsünde, und damit möchte ich mich nicht unbedingt beflecken. Jedenfalls nicht mit dieser Art von Todsünde«, fügte sie einschränkend hinzu. Sie sammelte sich und suchte nach der passenden Formulierung, doch ihr wollten keine frommen Umschreibungen einfallen. Schließlich sagte sie es genauso, wie es ihr in den Sinn kam. »Er hat den Mann umgebracht, den ich liebe. Und er hat ein unschuldiges Mädchen getötet, vielleicht sogar mehrere. Von einem weiß ich es sicher. Und ein weiteres Mädchen hat er so schwer misshandelt, dass sie leicht daran hätte sterben können, das war erst heute. Er liebt die Gewalt und das Intrigenspiel, aber am allermeisten liebt er es, bei geschlechtlichen Exzessen junge Frauen und Mädchen zu misshandeln, ohne Rücksicht, bis hin zum Tod. Pater, in meinen Gedanken habe ich mir schon oft vorgestellt, er möge sterben. Oder an einer unheilbaren Krankheit zugrunde gehen, an einer, die äußerst schmerzhaft ist.« Sie dachte kurz nach. »Vielleicht eine Kombination aus Pest, Impotenz, Mundfäule, Lepra und Franzosenkrankheit. Natürlich ohne Ansteckungsgefahr«, meinte sie abschwächend.
Ein weiteres Räuspern hinter ihr, diesmal ermahnend.
»Ich weiche ab«, stimmte Sanchia zu. »Als ich heute das Mädchen sah, so zerschlagen und missbraucht, war mir klar, dass er damit zu tun hatte. Sie trug sozusagen seine Handschrift. Und da wünschte ich mir mit einer solchen Inbrunst, ein Messer in seinen Bauch, oder besser noch: in andere Körperteile, zu rammen, dass meine Hände ganz unruhig wurden. Ich fühlte mich wie vor zwei Jahren – in der Klosterküche –, so wie Eleonora. Nur dass ich diesmal an ihrer Stelle war. Und ich fühlte mich gut dabei.«
Hinter ihr schepperte es, und als sie sich umwandte, sah sie, dass der Geistliche vor Schreck einen Kerzenhalter umgestoßen hatte.
»Ich weiß , dass es Sünde ist, an Mord zu denken«, entfuhr es ihr. Sie merkte, dass sie sich im Ton vergriff, und bemühte sich augenblicklich um mehr Demut. Die Hände unter dem Kinn gefaltet, neigte sie den Kopf. »Verzeiht, Pater.«
»Bereust du deine Sünden, Kind?«
Diesmal war sie es, die sich räusperte. Sie dachte nach und ging in sich. Tat es ihr wirklich Leid, was sie gedacht hatte? Im Grunde nicht.
»Ja«, behauptete sie.
»Ego te absolvo a peccatis tuis …«, begann Pater Alvise wie aus der Kanone geschossen.
Sie unterbrach ihn eilig. »Wartet bitte. Lasst mich zuerst fertig beichten. Ähm, ich habe geflucht und dabei den Namen des Herrn missbraucht. Ich war letzten Sonntag nicht in der Kirche, weil ich die ganze Nacht davor eine schrecklich schwere Geburt beaufsichtigt habe. Beide – Mutter
Weitere Kostenlose Bücher