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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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welche Seelenqualen damit einhergingen.
    Maddalena zog ein zusammengefaltetes und gesiegeltes Schriftstück aus ihrem Beutel und reichte es dem jungen Mönch, der es ihr aus der Hand riss und errötend an sein Herz presste.
    »Wollt Ihr ihn denn nicht rasch lesen?«, fragte Maddalena ungeduldig.
    »Dazu bin ich lieber allein, Suora Maddalena.«
    Ganze siebzehn Jahre alt, war er zum ersten Mal in seinem Leben in Liebe entbrannt. Nicht etwa, wie es sich für einen Mann der geistlichen Laufbahn geziemt hätte, für seinen Herrn und Erlöser Jesus Christus, sondern für eine junge Frau. Die fünfzehnjährige Lucietta war eine zweite Tochter, und sie war, genau wie Filippo, der ein zweiter Sohn war, zwangsweise zum Klosterleben bestimmt worden. Er hatte sie am Markustag zum ersten Mal gesehen, am 25. April, bei der Morgenmesse in der Basilika, und bei der abendlichen großen Prozession auf der Piazza hatte er sie ein weiteres Mal getroffen. Am Himmelfahrtstag, bei der Andata alli due Castelli, hatte er die zart geknüpften Bande gefestigt, und bereits an Fronleichnam bei der Andata del Corpus Domini war er unrettbar verloren. Er fieberte schon jetzt der Andata a San Vio entgegen, mit der am 15. Juni die Niederschlagung des Aufstandes von Baiamonte Tiepolo gefeiert wurde, und er war glücklich darüber, dass das restliche Jahr ihnen zuverlässig weitere Prozessionen bescheren würde.
    Für zwei Novizen wie Filippo und Lucietta gab es keine anderen Gelegenheiten, einander zu sehen.
    Im Falle der beiden hatten wenige scheue Seitenblicke genügt, um ihnen die Gewissheit zu verschaffen, dass sie füreinander bestimmt waren. Dass ihrer jungen Liebe beim jetzigen Stand die Erfüllung versagt bleiben musste, ließ das Ganze in einem tragischen, aber auch unvergleichlich romantischen Licht erscheinen. Bisher hatten sie kein einziges Wort miteinander gewechselt, geschweige denn einander je berührt. Es war eine Liebe aus der Ferne – die jedoch so heiß glühte, dass man die beiden förmlich in Flammen stehen sah, wenn man ihnen gegenüberstand. Eine Hand voll verzehrender Briefe hatte ein Übriges getan.
    Maddalena meinte, dass es noch mindestens dreier Andate und eines Dutzends Briefe bedurfte, bis die beiden sich zu ihrem ersten Stelldichein verabredeten, doch Sanchia schätzte sie eher so ein, dass sie spätestens anlässlich der Andata a Santi Giovanni e Paolo Ende Juni so weit wären. Der hitzige Eifer, mit der Lucietta sich förmlich vor ihr auf die Knie geworfen und um ihren weltlichen Beistand gefleht hatte, ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit der Lage. Sanchia fürchtete, dass die beiden jungen Leute sich kopflos miteinander ins Unglück stürzen würden, folglich hatte sie schon mit Annunziata über den Fall gesprochen, und Lorenzo hatte sich bereit erklärt, Kontakt mit Filippos Onkel aufzunehmen, einem Galeerenhändler, mit dem er schon häufig Geschäfte getätigt hatte. Sanchia war nach einigen Gesprächen mit dem jungen Mann ebenso wie Lucietta davon überzeugt, dass an Filippo ein hervorragender Arzt verloren gehen würde, und sie war entschlossen, ihm zu einem Studium in Padua zu verhelfen.
    Worin kann dein Reichtum sinnbringender investiert werden als in die fundierte Ausbildung junger Menschen?, hatte sie ihren Mann gefragt. Was hebt denn eine Macht wie die Serenissima über andere in der Welt hinaus? Sie hatte die Frage sofort selbst beantwortet: Wissen, Wissen und nochmals Wissen. Nur wo gut gesät wird, wächst auch eine reiche Ernte heran. Kunst kommt von Können, und dieses nur vom Lernen. Allein der gebildete Mensch findet den Weg aus der Finsternis des Aberglaubens.
    Lorenzo hatte gelächelt, wie immer, wenn sie sich auf solche Weise ereiferte, und er hatte ihr in dieser Sache mit derselben Selbstverständlichkeit freie Hand gelassen, wie er sie auch gegenüber ihren Bestrebungen zeigte, den Schreibunterricht in San Lorenzo voranzutreiben.
    Allerdings hatte niemand erwartet, dass Maddalena als Mitwisserin und Überbringerin der Nachrichten die ganze unselige Situation für ihre eigenen Zwecke ausnutzen würde. Der Kirche von San Zanipolo war das Dominikanerkloster angeschlossen, und diesem wiederum ein Spital, in dem einmal jährlich unter amtlicher Aufsicht Leichenöffnungen an männlichen Körpern vorgenommen wurden, bei denen angehende Chirurgi ihre praktischen anatomischen Erfahrungen sammeln durften.
    Nachdem Maddalena erst herausgefunden hatte, dass Filippo gemeinsam mit einem anderen

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