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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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seit meiner Ankunft hier nicht gesehen. Wurde er nicht benachrichtigt, dass ich verletzt bin?«
    »Sicher ist er wieder auf Reisen«, sagte Sanchia mit flacher Stimme.
    »Davon hatte er mir gar nichts gesagt. Außerdem war er eben erst wieder von der letzten langen Reise zurück. Normalerweise weiß ich, wann und wohin er fährt.«
    »Anscheinend ist er manchmal ein Mann schneller Entschlüsse.«
    »Damit hast du Recht. Merkwürdig ist es trotzdem.« Lorenzo furchte grübelnd die Stirn. »Dennoch weigere ich mich zu glauben …« Er sprach es nicht aus, sondern schüttelte nur erschöpft den Kopf. »Es wird sich eine plausible Erklärung finden.«
    »Lorenzo …«
    Er nahm ihre Hand. »Schsch.« Müde schloss er die Augen. »Mein Bein tut weh, und mein Hunger ist vergangen. Ich glaube, ich muss die nächsten hundert Jahre schlafen. Oder zumindest den Rest der Nacht. Können wir einfach morgen weiter darüber reden?«
    Sanchia hob die Schultern, weil sie sich plötzlich von einem Hauch Kälte umweht fühlte. »Es tut mir leid. Ich hätte es gar nicht erzählen sollen!«
    »Es wäre ohnehin herausgekommen«, murmelte er, bereits an der Grenze zum Schlaf. »So ist es mit allen Geheimnissen, weißt du. Am Ende kommen sie heraus. Immer.«
    Nachdem er eingeschlafen war, ging sie zurück in ihr eigenes Bett. Sie schwankte zwischen Erleichterung und Sorge um ihre Zukunft, doch am Ende siegten die positiven Gefühle. Er würde wieder gesund werden, und sie würde das Kind nicht verlieren. Mehr konnte sie sich für den Augenblick nicht wünschen. Alles andere war zweitrangig.
    Die mysteriösen Geschehnisse der vergangenen Woche, gipfelnd in Aurelias Tod, die Rolle ihrer Schwiegermutter in den zurückliegenden Tragödien ihres Lebens und eine rasche Rückkehr in ihr eigenes Zuhause waren Dinge, über die sie genauso gut auch morgen noch nachdenken konnte. Sie schwor sich, alles daranzusetzen, seine Eltern aus ihrem Leben herauszuhalten. Und seinen Onkel, von dem sich herausgestellt hatte, dass er zufälligerweise ihr leiblicher Vater war, ebenso. Sie wollte ganz einfach nichts mehr mit ihnen zu tun haben, und niemand würde sie zwingen können, familiäre Beziehungen zu ihnen zu pflegen. In ein paar Monaten würden sie und Lorenzo eine eigene Familie haben, und sie würden einander genug sein. Sie würde ihn dazu bringen, nicht mehr so viel zu reisen, oder, falls es doch unumgänglich war, nur in Gebiete, in denen nicht eine Krise die nächste jagte. Solange Krieg herrschte, sollte er in Venedig bleiben und anderen die gefährlichen diplomatischen Missionen im Feindesland überlassen. Mindestens für ein Jahr würde er aufgrund seiner Verletzung zu Hause bleiben müssen, das war mehr als nur eine Galgenfrist. Es war eine Chance, neu anzufangen und ein Leben in Ruhe und Zurückgezogenheit zu führen, fern aller bösen Einflüsse von außen.
    Irgendwann drehten ihre Gedanken sich nur noch im Kreis, und sie merkte, wie sie in den Schlaf glitt. Sie befahl sich, weiter wach zu bleiben und nachzudenken, doch dann drifteten alle bewussten Wahrnehmungen langsam davon und lösten sich im schwachen Schimmer des Mondlichts auf, das durch das Fenster auf ihr Bett fiel.
    Als sie wieder zu sich kam, hätte sie schwören können, höchstens ein paar Augenblicke geschlafen zu haben, und doch war offensichtlich ein Großteil der Nacht verstrichen. Der Mond war untergegangen, und draußen zogen bereits die ersten grauen Schleier der Morgendämmerung auf.
    Diesmal war sie von einem Geräusch erwacht, daran gab es keinen Zweifel, und nachdem sie ein paar orientierungslose Momente gelauscht hatte, wusste sie auch, woher es kam.
    Die klagenden Rufe zwei Stockwerke über ihr drangen durch die Mauern und die dazwischen liegenden Räume, aber noch lauter waren sie durch das offen stehende Fenster zu hören. Der alte Mann schrie so jammervoll, dass Sanchia, ohne nachzudenken, aus dem Bett sprang und zur Tür eilte. Im Portego, wo alle Fenster geschlossen waren, wurden die Schreie leiser, und je weiter sie sich von der Tür ihrer Kammer entfernte, desto schlechter waren die Rufe zu hören. Damit erklärte sich auch, warum es offenbar niemand für nötig gehalten hatte, aufzustehen und ihm zu helfen. Rufio, der sich sonst um ihn kümmerte, schlief bei Lorenzo, um im Bedarfsfall sofort für ihn sorgen zu können, und der Diener, der sich tagsüber mit ihm bei der Pflege des Alten abwechselte, hatte sein Quartier im Mezzanin.
    Als sie die Treppe

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