Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
versetzt. Er hätte dem Mistkerl nur zu gerne eigenhändig den Hals umgedreht, aber ihn weit weg zu wissen, war fast ebenso gut. Grimani hatte sich um Weihnachten herum nach England eingeschifft, um dort neue Handelskontakte zu knüpfen und von den kläglichen Resten seines Vermögens zu retten, was zu retten war.
Marco riss ihn aus seinen Gedanken. »Tomaso hat gesagt, dass dein Onkel mir bestimmt erzählen kann, ob das alles stimmt, was Marco Polo schreibt. Ich bin schon gespannt darauf, ihn kennen zu lernen. Meinst du, er nimmt mich einmal auf eine seiner Reisen mit?«
»Das wird sich finden, sobald er wohlbehalten wieder da ist.« Lorenzo verfluchte Tomaso stumm, aber heftig – nur um gleich darauf über sich selbst den Kopf zu schütteln.
Er hatte niemandem verboten, in Marcos Beisein über Francesco zu reden, auch dem Hausdiener nicht. Vielleicht hätte er es tun sollen, aber irgendwann, so sicher wie das Amen in der Kirche, würde Francesco ohnehin wiederkommen und zwangsläufig seinem Sohn begegnen.
Es ließ sich nicht vermeiden, und wenngleich er selbst und Sanchia einem solchen Ereignis mit gemischten Gefühlen gegenüberstanden, würden sie alle die Situation meistern. Vielleicht war sogar eine Versöhnung denkbar, zumindest wünschte Lorenzo es sich im Stillen. Es war ohnehin nicht ganz klar, was Sanchia seinem Onkel – ihrem Vater – eigentlich nachtrug. Danach befragt, war ihr keine triftige Erwiderung eingefallen, außer, dass er so viel Unglück in das Leben anderer Menschen gebracht hatte.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das mit den Würmern stimmt«, sagte Marco nachdenklich.
»Welche Würmer?«, fragte Lorenzo verdutzt.
»Die in dem Buch. Er schreibt darüber, dass eine Frau davon befallen ist und dass sie von innen heraus von ihnen aufgezehrt wird. Aber wie können Würmer sich von einem Menschen ernähren?«
Lorenzo rieb sich das Bein. »Oh, da gibt es die eine oder andere Möglichkeit.«
»Ja, ich weiß, ich hatte auch schon mal Würmer, und ich fand es ekelhaft. Aber in dem Buch – da wird diese Frau förmlich von ihnen gefressen, von innen heraus! Sie bohren sich durch das Fleisch und die Haut nach außen, und Marco Polo zieht sie durch die entstandenen Löcher heraus, immer mehr davon, und als er fertig ist, sieht er, dass sie so lang sind wie Schiffstaue! Gibt es das?«
Sanchia trat an Lorenzos Seite, immer noch blass, aber deutlich gefasster als vorhin.
»Ich kann dir versichern, dass es Würmer von beeindruckender Länge gibt und dass sie vollständig in einem Menschen Platz finden. Aber diese Art lebt nicht unter der Haut oder im Fleisch, sondern in den Gedärmen.«
Marco schluckte, die Augen entsetzt aufgerissen. »Ernsthaft?«
Sanchia nickte. Mit schwachem Lächeln meinte sie: »Keine Sorge. Die Sorte, an die du jetzt denkst, bleibt klein und harmlos. Sie jucken gewaltig, aber sie fressen dich gewiss nicht auf.«
Sie legte die Hand auf Lorenzos Arm. »Ich bin so weit.« An Marco gewandt, setzte sie hinzu: »Du kannst leider nicht mitkommen.«
»Ich weiß«, sagte er mit gesenkten Augen.
»Wir sind auf jeden Fall heute Abend wieder zurück.« Sie zog den Jungen in ihre Arme. Er wehrte sich nicht, obwohl Lorenzo den Eindruck hatte, dass es Marco in seiner Gegenwart peinlich war, von ihr umarmt zu werden wie ein bedürftiges Kleinkind. Doch niemandem konnte entgehen, wie sehr er die Zuwendung brauchte. Für die Dauer eines Augenblicks drückte er seinen Kopf an Sanchias Schulter und legte kurz seine Hand auf ihren Rücken, rührend unbeholfen in seinem Eifer, ihr seine Liebe zu zeigen, und dabei zugleich strikt darauf bedacht, nicht allzu sehr mit ihrem dicken Bauch in Berührung zu kommen.
»Wenn wir wiederkommen, sehe ich noch nach dir, egal, wie spät es ist«, versprach sie.
Marco nickte und duckte sich ergeben, als sie ihm das Haar zauste. Lorenzo grinste insgeheim. Als Mutter machte sie eine gute Figur, das war nicht zu leugnen, und Marco gab das klassische Bild eines vorpubertären Sohnes ab, der sich nicht entscheiden konnte, ob er diese Art mütterlicher Aufmerksamkeiten lästig oder unverzichtbar finden sollte.
»Bis später«, sagte er zu dem Jungen.
»Schaust du auch noch nach mir, falls ich schon im Bett bin, wenn ihr wiederkommt?«, fragte Marco. Mit einem Mal klang seine Stimme klein und dünn.
»Das mache ich ganz gewiss, verlass dich darauf«, gab Lorenzo ernst zurück. Er fragte sich, woher es kam, dass es immer wieder diese Momente gab,
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