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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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verstorbenen Schwester glich. Albiera hatte in den Stunden vor ihrem Tod genauso ausgesehen. Es waren nicht allein die ausgemergelten Gesichtszüge, sondern die beinahe überirdische Transparenz ihres Antlitzes, die eigensinnige Stärke, die jede von ihnen zu Lebzeiten ausgezeichnet hatte und die sie im Angesicht des Todes wie zwei Seiten einer Medaille aussehen ließ.
    Sanchia stöhnte auf, nicht vor Trauer, sondern weil sie sich unvermittelt von einer heftigen Wehe überflutet fühlte. Der Schmerz saß tief zu beiden Seiten ihres Bauches und zog sich wie eine Feuerspur ihren Rücken entlang nach unten bis ins Gesäß.
    »Oh, Himmel!«, keuchte sie.
    Lorenzo war sofort an ihrer Seite und stützte sie.
    »Lass«, sagte sie mühsam. »Es hört schon wieder auf.« Sie hatte Recht, gleich darauf ließ der Schmerz nach.
    »Du bekommst heute dein Kind«, murmelte Annunziata. »Zeit, dass du nach Hause gehst. Zeit, dass ich nach Hause gehe.«
    Sagredo stand an der anderen Seite des Bettes. Er achtete nicht auf Sanchia, sondern hielt die Hand der Frau, der er seit Jahrzehnten verbunden war. Sein Gesicht zuckte vor Schmerz und Trauer, und Sanchia sah benommen, dass er weinte.
    Annunziata blickte zu ihm auf, und in ihren Augen stand ihre ganze Hingabe und die Liebe, die sie all die Jahre niemals offen hatte leben dürfen.
    »Jacopo, weine nicht. Wo immer ich lande, da kommst auch du eines Tages hin, und dann sehen wir uns wieder.«
    Sagredo schüttelte den Kopf. »Da bin ich nicht so sicher.«
    »O doch, ich schon.« Ein Husten entstieg der mageren Brust, und Annunziata rang nach Luft.
    »Versprich mir …«
    »Alles«, sagte er.
    »Sanchia.«
    »Ja«, sagte er nur, nichts weiter.
    Sie fand die Kraft für weitere Worte. »Hätte ich je die freie Wahl zwischen Christus und dir gehabt – ich hätte dich gewählt, mein Liebster. Immer nur dich.«
    Im Hintergrund hörte Sanchia Pater Alvise erstickt aufseufzen, doch sie war sicher, dass er es auf seine Art verstand. Er hatte so vieles über so viele Jahre hinweg gewusst. All die kleinen und großen Geheimnisse der Nonnen, die in seiner fast vierzigjährigen Amtszeit hier gelebt hatten, lässliche wie schreckliche Sünden, alles war ihm gebeichtet worden und alles hatte er im Namen des Vaters vergeben – wie hätte er da nicht verstehen können?
    Was Sagredo ihr wohl versprochen hatte?
    Er war neben dem Bett auf die Knie gefallen. Schluchzend vergrub er das Gesicht in der Beuge seines Ellbogens, und jetzt erst wurde Sanchia gewahr, dass Annunziata nicht mehr atmete. Es war vorbei.
    Lorenzo war hinter ihr, die Hände auf ihren Schultern. Jetzt drehte er sie zu sich herum und zog sie in seine Arme. Sie drängte sich an ihn, weinend und Trost suchend wie ein Kind.
    Er hob sie hoch und trug sie zur Tür.
    »Was tust du?«, flüsterte sie an seinem Hals.
    »Ich bringe dich nach Hause.«
    Wenn sie geglaubt hatte, dass die ersten Wehen schon nahezu unerträglich waren, so wurde sie im Laufe des Abends eines Besseren belehrt.
    In einem roten Nebel aus Schmerz und Übelkeit krampfte sie sich in regelmäßigen Abständen zusammen und schämte sich in den folgenden Wehenpausen, weil sie es nicht schaffte, es ohne Jammern und Stöhnen zu erdulden. Sie hatte immer die Frauen bewundert, die es mit einem Lächeln auf den Lippen und einem zuversichtlichen Ausdruck in den Augen über sich ergehen ließen, tapfer und zugleich hoffnungsvoll nur dem Moment entgegenblickend, in dem sie ihr Kind in den Armen halten würden. Es gab solche standhaften Frauen, hin und wieder war es vorgekommen, dass Sanchia eine von ihnen entbunden hatte, wenn auch sehr selten. Die meisten schrien und fluchten und stöhnten, was das Zeug hielt. Sanchia hatte sich immer geschworen, sich zu der heroischen Fraktion zu gesellen, wenn es so weit war, doch anscheinend hatte ihr Körper andere Vorstellungen davon, wie die Niederkunft vonstatten gehen sollte.
    »Geht es dir gut?«, fragte Lorenzo zum wiederholten Male ängstlich. »Tut es sehr weh, meine Taube?« Er saß auf der Kante des Bettes und starrte sie zu Tode erschrocken an. Anfangs hatte er noch versucht, ihre Hand zu halten und ihr tröstend übers Gesicht zu streichen, doch nachdem sie ihn zweimal heftig gebissen hatte, war er dazu übergegangen, ihr nur noch mit Worten Zuspruch zu spenden.
    »Verschwinde«, ächzte Sanchia. Sie meinte es ernst. Im Augenblick wollte sie nur noch sterben und legte keinen Wert darauf, dass er ihr dabei zusah.
    »Ich rühre mich

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