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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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wollte sie auf die Stirn küssen, prallte aber mit einem Wehlaut zurück, weil sie ihm in den Magen boxte, während sie gleichzeitig Luft holte, um im nächsten Moment abermals laut aufzuschreien.
    Lorenzo ging rückwärts zur Tür und verharrte auf dem Gang, bis ihre Schmerzenslaute wieder verklungen waren. Während der einsetzenden Stille fragte er sich, was schlimmer war: hier draußen tatenlos herumzustehen oder drinnen tatenlos auf der Bettkante zu sitzen. Er kam zu dem Ergebnis, dass beides gleichermaßen schrecklich war und wollte gerade wieder hineingehen, um kundzutun, dass er es sich anders überlegt hatte und doch lieber bei Sanchia bleiben würde.
    Als er die Schritte auf der Treppe hörte, blieb er stehen und drehte sich um.
    Sarpi kam näher, eine große Flasche in der Hand.
    Lorenzo verzog indigniert das Gesicht. »Ich nehme an, Ihr bringt den Essig.«
    Sarpi grinste ihn an. »Nicht doch.« Er hob die Flasche und schüttelte sie. »Das ist der beste Branntwein, den ich in meiner Vorratskammer gefunden habe. Unverzichtbar für alle Stadien einer langen, schweren Geburt.«
    »Oh. Ach so. Nun ja, Ihr seid Arzt und habt in diesen Dingen mehr Erfahrung.«
    Sarpi nickte munter. »Kommt einstweilen mit mir und lasst uns das tun, was in dieser Situation am meisten nottut.«
    Lorenzo schluckte. »Beten?«
    »Trinken.«
    Sanchias Wahrnehmungen hatten sich getrübt, sie spürte nur noch den unmenschlichen Druck, der ihr den Leib zu zerreißen drohte.
    »Es bringt mich um«, flüsterte sie.
    »Das darfst du nicht sagen!«, rief Eleonora entsetzt. »Sonst beschreist du es am Ende noch!«
    »Schweigt«, befahl Maddalena. Schwitzend kniete sie zwischen Sanchias gespreizten Beinen und begutachtete den Fortgang der Geburt. Sie hatte den Schleier abgelegt und die Ärmel aufgekrempelt. Ihre Finger waren blutig und nass von der letzten Untersuchung.
    Außer Sanchia waren nur noch Maddalena und Eleonora anwesend. Draußen vor dem geschlossenen Fenster war schon vor Stunden die abendliche Dunkelheit heraufgezogen. Vor wenigen Minuten hatte es zur Komplet geläutet. Das Feuer im Kamin war ausgegangen, doch die Wärme hatte sich bis jetzt gehalten. Zahlreiche Kerzen brannten in allen Ecken des Raums und tauchten die Umgebung des Bettes in ausreichend helles Licht. Im ganzen Zimmer roch es scharf nach Essig und Kampfer.
    »Ich muss pressen«, keuchte Sanchia.
    »Noch nicht. Eine Wehe brauchst du noch, halt es aus! Sei froh, dass es bis hierher überhaupt so rasch gegangen ist! Fünf Stunden, und das beim ersten Kind!«
    »Ich zerfließe vor Dankbarkeit«, erklärte Sanchia keuchend. »Ich muss … pressen !«
    »Nein, du bist noch nicht weit genug offen. Tu es nicht.«     
    Die nächste Wehe baute sich auf. Sanchia stieß einen lang gezogenen Schrei aus, der mit jedem Herzschlag lauter wurde. Diese Wehe war die bisher schlimmste, es war, als würde ihr Körper in der Mitte entzweigespalten.
    Draußen vor der geschlossenen Tür waren Schritte zu hören, dann erregte Männerstimmen.
    »Sie stirbt!«, hörte Sanchia auf dem Scheitelpunkt der Wehe ihren Mann rufen. »Lasst mich zu ihr! Ich will zu meiner Frau! Sanchia! Ich bin da!«
    Sie stöhnte und wand sich und wunderte sich dabei vage, warum seine Stimme so verwaschen klang.
    Eine Hand in die Kissen gekrallt, umklammerte sie mit der anderen ihr Amulett, bis das Silber wie ein Messer in ihre Haut schnitt. Die Wehe schien nicht enden zu wollen, die Schmerzen zerrten an ihr; sie höhlten Geist und Seele aus und verwandelten sie in ein wimmerndes, hüllenloses Etwas mit bloßliegenden Nerven, in denen glühende Eisennägel steckten. Ihr Körper wollte sie zwingen, mit kräftigem Pressen mitzumachen, doch sie widerstand diesem Drang mit letzter Kraft. Hechelnd und keuchend kämpfte sie dagegen an. Und bezahlte dafür mit unvorstellbaren Qualen.
    Sie hatte es so oft aus allernächster Nähe gesehen und hautnah miterlebt, und doch hatte sie nicht annähernd gewusst, was es wirklich bedeutete. Wie konnte ein Mensch das ertragen, vielleicht sogar mehr als einmal im Leben? Dennoch nahm die Hälfte der Menschheit es voller Gottvertrauen auf sich, während die andere Hälfte auf einen glücklichen Ausgang hoffte, immer wieder und wieder, in einem ewigen Kreislauf von Empfängnis und Gebären.
    »Ruhig«, sagte Maddalena. »Atme ganz ruhig!«
    Sanchia fiel zitternd zurück. Endlich war die mörderische Wehe abgeflacht.
    Erschöpft keuchend lag sie auf den von Fruchtwasser und Blut

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