Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
verschmierten Laken und sammelte sich für die letzte große Anstrengung.
Sie wusste, dass sie gerade das erlebt hatte, was sie bei sich die Todeswehe nannte – jene allerletzte Wehe vor Beginn der Austreibung des Kindes, die in der schlimmsten nur vorstellbaren Qual gipfelte. Zugleich war ihr klar, dass die schrecklichsten Schmerzen vorüber waren. Wenn sie erst pressen durfte, würde es noch weh genug tun, aber sie konnte dann auch aktiv mitwirken und würde es nur noch als halb so schlimm empfinden.
»Bei der nächsten«, sagte sie schwer atmend. »Bei der nächsten ist es so weit, oder?«
Maddalena nickte. »Willst du liegen bleiben oder auf die Knie hochkommen?«
»Ich versuche es erst einmal so.«
»Wie du willst, du bist ja diejenige, die es bekommt. Leg die Hände um die Knie und gib dein Bestes. Aber hör auf mich, wenn ich dir sage, dass du aufhören musst, sonst reißt du.«
Eleonora stöhnte erschrocken. »Nur das nicht! Ich bin bei Tino gerissen! Wochenlang konnte ich nicht sitzen!«
»Das waren keine Risse, das waren Hämorrhoiden«, widersprach Sanchia.
»Was ist?«, fragte Lorenzo von der Tür her. Sanchia sah ihn näherschwanken und mit deutlicher Schlagseite drei Schritte vom Bett entfernt stehen bleiben. »Du lebst!«, lallte er erleichtert.
»Raus«, sagte Maddalena.
»Also wirklich, Fausto!«, rief Eleonora tadelnd.
Sarpi stand im Türrahmen, ebenso betrunken wie der werdende Vater, mit albernem Grinsen den leeren Krug schwenkend. »Soll ich helfen?«
»Ich lasse Euch wissen, wenn ich ärztlicher Hilfe bedarf«, sagte Maddalena.
»Ich b-bleibe b-bei dir, wenn du es willst«, bot Lorenzo großmütig an.
»Fausto!«, rief Eleonora mit schriller Stimme. »Bring ihn raus! Das Kind kommt jeden Moment!«
Sarpi hatte ein Einsehen und packte Lorenzo am Arm. »Kommt. Wir schauen in Eurer Vorratskammer nach, wie es dort mit Nachschub an Branntwein aussieht.«
Ein rundes Dutzend mühseliger Presswehen später trat der Kopf des Kindes durch, einen Moment darauf folgten die Schultern, und dann glitt der kleine Körper in einem einzigen Rutsch heraus, zusammen mit einem blutig gefärbten Schwall warmen Fruchtwassers.
Sanchia schluchzte und lachte befreit, den Kopf zurückgeworfen und den ungeheuren Triumph auskostend, die größte Leistung ihres Lebens vollbracht zu haben.
»Ich hab’s geschafft!«, stieß sie hervor.
»Das hast du, Liebes«, sagte Eleonora weinend. »Du warst so tapfer!«
»Gib ihn mir!«, verlangte Sanchia zitternd. »Ich will ihn halten!«
»Wen?«, wollte Maddalena scheinheilig wissen. Sie rieb das Kind sanft mit einem sauberen Tuch ab.
»Meinen …« Sanchias Stimme erstarb, und ihre Augen wurden groß, als sie es selbst sah. Das Kind, von dessen männlichem Geschlecht nicht nur Lorenzo, sondern auch sie selbst so absolut überzeugt gewesen waren, war ein Mädchen.
»Oh«, hauchte Sanchia ehrfurchtsvoll, als sie das kleine runde Geschöpf betrachtete, das silbrig flaumige Köpfchen, die winzigen fuchtelnden Glieder und das zerknautschte Gesichtchen. Anders als die meisten Neugeborenen schrie es nicht, sondern maunzte nur leise vor sich hin.
»Ich gratuliere dir zu deiner wunderbaren kleinen Tochter«, sagte Maddalena bewegt. Sie streichelte zuerst das Kind, dann die Mutter, und dann nahm sie Sanchias Hand und drückte sie fest. »Du warst großartig, wie immer.«
»Wie zauberhaft es ist!«, flüsterte Eleonora. Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie vorsichtig die Hand ausstreckte, um den neuen Erdenbürger zu berühren. »Sieh nur, es ist blond wie du! Und diese zarten Ohren! Genau wie deine! Ich wünschte nur …« Sie brach ab, eine Hand auf ihren runden Bauch gedrückt. »Wenn meines doch auch nur schon da wäre, so gesund und hübsch wie dieses hier!«
Sanchia sah zu ihr auf. Für einen endlosen Augenblick tauchten ihre Blicke ineinander, und wortlos teilten sie die schrecklichen Erinnerungen an Rom.
»Es wird alles gut«, sagte Sanchia beschwörend. »Glaub nur daran!«
»Keine Sorge, diesmal tu ich’s.« Eleonora lächelte unter Tränen. »Es ist ja auch anders als beim letzten Mal. Ich habe keine Schmerzen. Es ist so wie bei Tino, ich fühle mich gut.«
Maddalena legte das kleine Mädchen auf die Brust der Mutter, während sie die Nachgeburt überwachte. Sanchia ließ diesen letzten Akt der Niederkunft ohne Murren über sich ergehen, und als der letzte Blutschwall aus ihrem Körper floss und Maddalena ein zufriedenes Seufzen von sich
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