Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
trinken. Ich muss es an die Brust legen.«
Das nahm er als Stichwort, um sofort das Feld zu räumen. »Es ist spät, ich gehe jetzt lieber zu Bett.«
»Schlaf gut«, rief Sanchia ihm nach. Doch er war schon verschwunden.
Die Taufmesse fand am Sonntag vor Mariä Lichtmess statt, und zu Sanchias Leidwesen ließ es sich nicht umgehen, im Rahmen der geplanten Feierlichkeiten auch die Großeltern dazuzubitten. Hatten sie und Lorenzo es anlässlich ihrer Hochzeit noch einrichten können, die Zeremonie unauffällig und in kleinem Rahmen zu gestalten, so war es nach Chiaras Geburt schlechterdings unmöglich, dieses Ereignis unter den Tisch fallen zu lassen. Taufen wurden in Venedig zwar nicht mit demselben Pomp begangen wie Bestattungen, doch viel fehlte nicht daran, vor allem wenn es bei dem Täufling um ein Kind ging, das einer der reichsten und bekanntesten Familien der Stadt entstammte.
Im Stillen hatte Sanchia gehofft, dass ihre Schwiegereltern kein Interesse daran hatten, an der Messfeier teilzunehmen, doch als Lorenzo ihnen die Einladung überbrachte, sagte Giovanni sofort sein Erscheinen zu. Auch Caterina wollte es sich trotz ihres elenden Zustandes nicht nehmen lassen, bei der Taufe ihres ersten Enkelkindes persönlich anwesend zu sein.
»Ich verstehe deine Gefühle«, sagte Lorenzo zu Sanchia. »Aber sie ist und bleibt meine Mutter. Was immer sie getan hat – es ist nicht ihr wahres Wesen, sondern die Folge ihres Wahnsinns. Man kann sie dafür nicht verantwortlich machen.« Er hatte kurz innegehalten. »Mach es so wie ich. Versuche, dir vorzustellen, sie hätte zwei Gesichter, und dann schau nur in das gute.«
Immerhin setzte Sanchia durch, dass die Messe nicht in der Familienkirche Santi Giovanni e Paolo abgehalten wurde, sondern in ihrem angestammten Gotteshaus – in der Kapelle von San Lorenzo, mit Pater Alvise als Taufpriester.
Die Kirche war gesteckt voll. Sanchia blickte sich um und fragte sich beklommen, welches Interesse all diese Unbekannten daran hatten, der Taufe beizuwohnen.
Natürlich gab es einige Menschen, die ihr nahestanden und über deren Anwesenheit sie sich freute. Da war vor allem Pasquale, der gleich in der ersten Bankreihe saß, in einiger Entfernung von Eleonora und Sarpi, aber doch nah genug, dass er hin und wieder einen verstohlenen Blick auf seinen kleinen Sohn werfen konnte, der zwischen seinen Eltern auf und ab hüpfte und zwischendurch immer wieder seine gesamte Umgebung lautstark davon in Kenntnis setzte, wie durstig er war.
Außerdem war natürlich Maddalena gekommen. Als offiziell geladener Gast nahm sie im Hauptschiff der Kirche an der Feier teil, während die große Schar der anderen Nonnen vorschriftsmäßig oben auf der Empore hinter der Abtrennung saß und von dort aus die Zeremonie verfolgte. Sanchia hörte das Tuscheln der Frauen und hin und wieder ein unterdrücktes Schniefen der Rührung, und ihr Herz flog ihren ehemaligen Gefährtinnen entgegen.
Pasquale war nicht allein von Murano gekommen, er hatte einen Teil des Gesindes mitgebracht. Die Zwillinge Nicolò und Marino waren beide zu stattlichen Männern herangewachsen und flankierten wie hohe Türme die gedrungene Magd, die ergriffen vor sich hinschluchzte und sich hin und wieder kräftig in ihren Umhang schnäuzte.
Auch Girolamo war ihrer Einladung gefolgt; er trug sein Festtagswams und neue Schuhe, in denen er unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat, sodass Sanchia sich besorgt fragte, ob der Schuster, zu dem sie ihn geschickt hatte, auch richtig Maß genommen hatte.
Tsing und Ercole standen ebenso wie Girolamo im hinteren Teil der Kapelle, ein wenig abseits von den vornehmen Patriziern, denen die Sitzbänke vorbehalten waren. Der riesige Sienese strich sich immer wieder über den borstigen Schädel und schaute unglücklich drein. Vermutlich war er seit Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen und fragte sich, ob es den anderen auffiel. Er schwitzte in der ungewohnten Feiertagsgewandung, während Tsing in seiner üblichen bequemen Kluft erschienen war, einem locker herabhängenden blauen Hemd über ausgewaschenen Beinlingen von undefinierbarer Farbe und einem fest um den Kopf gewickelten Tuch, unter dem seine Glatze und sein Zopf versteckt waren. Sein einziges Zugeständnis an die weihevolle Umgebung bestand darin, dass er ohne seinen Degen erschienen war. Er schaute sich interessiert um und betrachtete neugierig die überall sichtbaren Insignien des christlichen Glaubens, und nachdem er sich
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