Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
daran sattgesehen hatte, starrte er unverfroren die vielen Menschen an, die in der Kirche saßen oder standen.
Sanchia empfand deutlich die Ironie, die dahintersteckte, dass die zahlreich erschienenen Verwandten ihres Mannes zugleich auch ihre eigenen waren, und als noch absurder empfand sie die Tatsache, dass unter allen Personen, die sich in der Kirche befanden, niemand davon wusste, außer ihr selbst und Lorenzo. Der einzige andere Mann, der alle über ihren wahren Status hätte aufklären können, war irgendwo auf den Weltmeeren unterwegs.
Sie selbst kannte von all den Caloprinis, die heute hier erschienen waren, nur ihre Schwiegereltern.
Caterina saß zusammengesunken in ihrem Stuhl und starrte auf den Altar. Es hatte nur eines einzigen Blicks auf Marco bedurft, und sie war in Tränen ausgebrochen. Sie weinte stumm, absolut lautlos und mit starrem Gesicht, ein gespenstischer Anblick, der Sanchia den Magen umdrehte. Niemand machte Anstalten, ihr die Augen zu wischen oder sich sonst wie um sie zu kümmern, bis auf ein einziges Mal, noch vor Beginn der Messe, als Giovanni sich zu ihr beugte, um kurz etwas zu ihr zu sagen. Sie reagierte unwirsch, indem sie den Kopf abwandte und die Lippen zusammenkniff, ohne jedoch mit dem Weinen aufzuhören.
Giovanni schaute mit verzweifeltem Lächeln zu Sanchia und Lorenzo herüber, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass seine Frau nicht an sich halten konnte. Er hatte den Ehrenplatz in der Familienempore nahe beim Hauptaltar inne, und Caterina saß an seiner Seite. Rufio hatte sie auf seinen Armen in die Kirche getragen und vorsichtig auf dem samtgepolsterten Lehnstuhl abgesetzt, bevor er sich in den hinteren Teil der Kirche zurückgezogen hatte, wo er mit sorgenumwölkter Miene stehen blieb.
Neben Sanchia bewegte Marco sich unruhig, als ob die Spannung, die in der Luft lag, auch ihn erfasst hatte.
Lorenzo hingegen war wie üblich so hingerissen vom Anblick seiner Tochter, dass er von seiner Umgebung nichts wahrnahm. Von Spitze und Seide umhüllt, lag Chiara in seinen Armen und schaute mit kugelrunden Augen zu ihm auf. Die Kleine war bisher ruhig gewesen, bis auf ein gelegentliches Glucksen, mit dem sie ihre Zufriedenheit bekundete. Sie war ohnehin ein friedliches und ruhiges Baby, doch wenn Lorenzo sie hielt und ihr dabei obendrein noch allerlei törichte Liebesbekundungen zuflüsterte, war sie davon so gebannt, dass sie kein einziges lautes Geräusch zuwege brachte.
Auch als kurz darauf die brausenden Klänge der Orgel einsetzten, die den Introitus begleiteten, verzog Chiara trotz des ungewohnten Lärms keine Miene.
Wäre es nach Lorenzo gegangen, hätte er die Kleine während der gesamten Zeremonie gehalten und an seine stolzgeschwellte Vaterbrust gedrückt, und ihm war bereits jetzt das Unbehagen darüber anzusehen, dass er sein kostbarstes Kleinod gleich Sarpi und Eleonora überlassen musste, die als Paten mit dem Kind zum Taufbecken schreiten würden.
Amüsiert betrachtete Sanchia ihren Mann, während dieser verehrungsvoll auf das Baby niedersah. Seine Ohren leuchteten rosa im Licht der einfallenden Sonne, und ob dieser teils rührende, teils komische Effekt nun von den rot gefärbten Glaseinsätzen der Fenster herrührte oder ob es daran lag, dass ihm vor lauter Aufregung das Blut in den Kopf gestiegen war – allein seine unschuldigen rosigen Ohrmuscheln anzuschauen, löste in Sanchia das Verlangen aus, die Arme um ihn zu schlingen und ihn zu küssen. Seit der Entbindung war sie ihm nicht mehr richtig nahe gewesen. Da sie die Kleine stillte und daher auch nachts Unruhe in ihrem Gemach herrschte, hatte er aus Rücksicht vorübergehend eine der anderen Kammern bezogen, weil er das bisschen Schlaf, das ihr blieb, nicht auch noch stören wollte.
Pater Alvise trat vor den Altar und begrüßte die Gemeinde mit einem für seine Altmännerstimme überraschend sonoren Dominus vobiscum , doch bevor er mit dem Gottesdienst fortfahren konnte, verwandelte sich die Kirche in einen Hexenkessel.
Caterina stieß einen schrillen Schrei aus, die Blicke auf das Hauptportal gerichtet, und als Sanchia sich unwillkürlich ebenso wie alle anderen umwandte, sah sie zu ihrem Entsetzen dort jenen Mann stehen, der getrost in Indien oder sonst wo hätte bleiben können, wenn sie es hätte bestimmen können.
Francesco Caloprini stand aufrecht und breitbeinig da, barhäuptig und in einem mitternachtsblauen Umhang, dessen von Kanalwasser durchfeuchteter Saum schwer gegen seine Beine
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