Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
schlug. Eine Hand hatte er in die Hüfte gestemmt, und mit der anderen hielt er sein federgeschmücktes Barett wie einen Schild vor der Brust.
Die Tür fiel mit einem Poltern hinter ihm ins Schloss, und zeitgleich mit diesem endgültig klingenden Geräusch hörte Caterina auch wieder auf zu schreien, und Giovanni, der vergeblich versucht hatte, sie zum Schweigen zu bewegen, nahm seine Hände von ihren Schultern, als hätte er sich verbrannt. Doch Caterinas Ausbruch war noch nicht zu Ende.
»Jetzt wird alles herauskommen!«, rief sie in die plötzlich einsetzende Stille. »Du bist wieder da! Es ist ein Zeichen! Das Geheimnis kann nicht länger gewahrt bleiben!«
Sanchia spürte ihr Herz gegen ihre Rippen hämmern, und eine erstickende Enge lähmte ihr den Atem. Die Augenblicke schienen endlos und zäh dahinzutropfen, niemand redete, niemand bewegte sich.
Francesco starrte Caterina mit seinen eisigen hellen Augen an, und Giovanni vergrub stöhnend sein Gesicht in den Händen. Lorenzo schaute von seinem Onkel zu seinen Eltern und dann wieder zurück, und dann öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch niemand konnte ihn mehr hören, denn genau in diesem Augenblick setzte mit einem quietschenden Misston die neue Orgel ein, die erst vor ein paar Wochen eingebaut worden war. Pater Alvise gab mit ausholender Gebärde dem Organisten Zeichen, und dieser zog die Register und hieb mit Todesverachtung in die Manuale, um alle unbotmäßigen Zwistigkeiten zu übertönen.
Auf ein weiteres Zeichen stimmten die Nonnen oben auf dem Chor einen jubelnden Gesang an, während die übrige Taufgesellschaft diese unerwartete Abweichung von der Liturgie peinlich berührt zur Kenntnis nahm.
Lorenzo beugte sich zu Sanchia hinüber. »Es tut mir so leid«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie nickte nur, mit steifen Lippen und einem tauben Gefühl in den Beinen. Sie hätte sich gern hingesetzt, doch sie wagte es nicht, denn außer Caterina standen alle, und jetzt zusätzliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, war das Letzte, was sie im Sinn hatte. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Francesco, der zum Glück keine Anstalten machte, näherzukommen, sondern in der Nähe des Portals stehen blieb.
Von der Seite bewegte sich etwas Rotes auf ihn zu, und Sanchia wandte sich vollends um, damit sie sehen konnte, wer es war.
Rufio hatte seine Bankreihe verlassen und ging eilig zu Francesco Caloprini hinüber. Die Orgel jammerte immer noch in den höchsten Tönen, während Rufio und Francesco miteinander tuschelten. Francesco hörte aufmerksam zu, anschließend nickte er kurz und blickte für einen Moment zu Sanchia und Lorenzo hinüber, einen eigenartigen Ausdruck in den Augen. Dann fiel sein Blick auf Marco, und seine Miene erstarrte in ungläubiger Fassungslosigkeit.
Sanchia hielt die Luft an und betete im Stillen, dass nichts Schlimmes passieren möge. Er hatte ganz offensichtlich die Familienähnlichkeit bemerkt. Diese war bereits verblüffend, wenn man nur Lorenzo und Marco nebeneinanderstehen sah.
Sanchia und Lorenzo hatten sich Marcos wegen bereits gegen alle möglichen Fragen gewappnet, doch bisher waren keine gekommen. Stattdessen hatte es schon beim Betreten der Kirche und während der allseitigen Begrüßung reichlich Getuschel gegeben.
Es war gut möglich, dass es dabei blieb, denn vermutlich gingen die meisten Anwesenden davon aus, dass Marco ein Sohn Lorenzos war. Es war keineswegs ungewöhnlich, dass ein reicher Patrizier sich um seine Bastarde kümmerte und ihnen in seinem eigenen Haus eine angemessene Erziehung zuteil werden ließ.
Ängstlich wartete Sanchia darauf, wie Francesco reagieren würde.
Einige quälende Augenblicke lang schaute er den Jungen an, und Sanchia widerstand nur mit Mühe dem albernen Drang, sich dazwischenzuschieben.
Im nächsten Moment hatte Francesco sich umgedreht und ging rasch zurück zum Portal. Gleich darauf war er verschwunden.
Sie atmete erleichtert auf und umfasste Lorenzos Arm. Dabei konnte sie spüren, wie sehr er sich verkrampft hatte, und auch Chiara schien es wahrzunehmen, denn sie bewegte sich unruhig in seinen Armen und drehte suchend das Köpfchen hin und her. Nur ein paar Augenblicke später erschienen zwei fuchtelnde Händchen vor dem kleinen Gesicht, und gleich darauf stimmte sie ein verärgertes Geschrei an. Der erschrockene Vater zuckte zusammen. Hastig wiegte er das Baby und warf Sanchia einen Hilfe suchenden Blick zu, doch Sanchia zuckte die Achseln. Im Moment gab es nur eine
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