Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Sache, mit der sie Chiara hätte beruhigen können, und das musste zwangsläufig bis nach der Messe warten.
Die Orgel verstummte, und während das Baby mit seinem durchdringenden Geschrei sein Bestes gab, um den abgefallenen Lärmpegel wieder anzuheben, warf Sanchia einen besorgten Blick zu ihrer Schwiegermutter hinüber.
Caterina schien jedoch nachhaltig verstummt zu sein. Sie starrte blicklos vor sich hin und hing mit halb geschlossenen Augen und schlaffem Mund in ihrem Sessel, als hätte es den Aufruhr, den sie angezettelt hatte, nie gegeben. Giovanni saß mit unbewegtem Gesicht neben ihr, aber ihm war anzusehen, wie unwohl er sich in seiner Haut fühlte.
Während Chiara ausdauernd und mit rot angelaufenem Gesichtchen weiterbrüllte, setzte Pater Alvise mit strahlender Miene die Messe fort. Mit dieser Art von Radau konnte er umgehen, denn dass ein Täufling während des Gottesdienstes aus voller Kehle schrie, war schon fast ein Naturgesetz.
Der Rest der Tauffeier verlief dann auch streng nach den Regeln der Kirche, und nach außen hin schien alles so, wie es sein sollte. Doch Sanchia glaubte beinahe, das Böse fühlen zu können, das sich an diesem Morgen um sie herum plötzlich verdichtet hatte. Mit einem Mal war sie von der schrecklichen Gewissheit erfüllt, dass von nun an nichts mehr so sein würde wie vorher.
Sanchia beugte sich tiefer und schob die Nase an Chiaras Hals. Dort, zwischen dem winzigen Ohr und dem faltigen weichen Nacken, war der Duft am intensivsten. Sie hatte schon immer gewusst, dass Babys, vor allem Neugeborene, die voll gestillt wurden, jenen unverwechselbaren Geruch verströmten, doch dass es beim eigenen Kind so viel stärker sein würde, hatte sie nicht erwartet.
Die ältere Hebamme, die sie nach Albieras Tod in der Geburtshilfe ausgebildet hatte, war der Meinung gewesen, der Duft sei ein besonderes Zeichen, eine Verbindung der Kinder zum Paradies, dem Ort, von dem sie gerade gekommen waren und zu dem sie von heute auf morgen wieder hingehen könnten. Nur Säuglinge, die keine andere Nahrung zu sich nahmen als Muttermilch, wiesen jene spezifische, ganz und gar eigenartige Ausdünstung auf, und wenn man an ihnen schnupperte und dabei die Augen schloss, wurde unweigerlich der Wunsch wach, nie mehr etwas anderes riechen zu müssen als diesen himmlischen, betörenden Duft des eigenen neugeborenen Kindes.
Ein weiteres Wunder war die unglaubliche Zartheit der Haut, die weiche Glätte und die flaumige Nachgiebigkeit, wie feinste Blütenblätter, die von der Sonne erwärmt waren.
Sanchia kam sich manchmal albern vor, weil sie nicht müde wurde, ihr Kind zu betrachten oder es zu streicheln und sich daran zu ergötzen, wie sich die großen Augen unter den bläulichen Lidern im Schlaf bewegten oder wie eines der Fäustchen zum Mund wanderte, der sich gleich darauf saugend um den winzigen Daumen schloss.
Das Haar des Babys war ungewöhnlich hell, ein beinahe weißer Flaum, der Pasquale zu der spontanen Bemerkung veranlasst hatte, dass sie als Baby genauso ausgesehen hätte.
Er war am Morgen nach der Tauffeier zu ihr gekommen, offensichtlich besorgt wegen Caterinas Anfall, und er hatte sich hastig vergewissert, dass Tsing und Ercole in der Nähe waren.
»Bleib vorsichtig«, hatte er sie gebeten, während seine Blicke Giovanni folgten, der seine Frau aus der Kirche trug. »Ich habe ein merkwürdiges Gefühl.«
»Ich auch«, hatte sie niedergeschlagen erwidert.
Das Gefühl einer bösen Vorahnung hatte sich seither nicht gelegt, im Gegenteil. Vor zwei Stunden hatte der Diener eine Botschaft von der Ca’ Caloprini gebracht. Caterina ging es schlecht, sie wünschte, ihren Sohn zu sehen und von ihm Abschied zu nehmen.
Lorenzo war sofort aufgebrochen.
Sanchia wartete voller Unruhe auf seine Rückkehr, und obwohl sie wusste, dass es eine schwere Sünde war, hoffte sie insgeheim, dass ihre Schwiegermutter sterben möge, damit sie keine Angst mehr um sich und die Kinder haben musste.
Chiara wandte ihr schmatzend das Gesichtchen zu, und Sanchia fuhr ihr sacht mit den Fingern über die Stirn, bevor sie ihr Brusttuch zur Seite zog und das Baby zum Trinken anlegte.
Die Kleine drehte sofort ihr Köpfchen in die richtige Position und saugte sich kraftvoll fest. Sanchia biss sich auf die Lippen, weil es immer noch ein wenig wehtat, doch das scharfe Ziehen ging gleich darauf in ein wohliges Brennen über, begleitet von sanften Kontraktionen in ihrem Unterleib.
Sie hatte schon vorher gewusst, dass die
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