Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Geistlichen, der in seinen prunkvollen, weithin leuchtenden Gewändern aussah wie eine der Figuren auf den Kirchenfenstern, die ihr Vater oft gefertigt hatte.
Sanchia merkte, wohin ihre Gedanken sich verirrten, und hastig presste sie die Fingernägel in die Innenseiten ihrer Hand. Dieser Schmerz lenkte sie meist zuverlässig von den Erinnerungen ab.
Die Männer verließen das Klostergelände durch eines der wasserseitigen Tore, während die Äbtissin in den Hof kam, um die Novizin willkommen zu heißen.
»Schön, dass du bei uns bist, Eleonora. Ich sehe, du hast dich schon mit den anderen bekannt gemacht. Sanchia, komm her.«
Von einem unguten Gefühl erfüllt, gehorchte Sanchia.
»Das ist Sanchia. Sanchia – Eleonora.«
Eleonora grinste sie herausfordernd an. Sanchia blickte sofort zu Boden.
»Eleonora, du wirst dir mit Sanchia ein Schlafgemach teilen. Sie hat noch Platz.«
Sanchias Kopf fuhr hoch. Bisher hatte sie ein Zimmer für sich allein gehabt. Zu Anfang hatte sie mit zwei gleichaltrigen Mädchen in einer Kammer geschlafen, aber die beiden waren ständig von Sanchias nächtlichen Schreien aufgewacht, bis die Äbtissin ihnen ein anderes Zimmer zugewiesen hatte. Seit einer Weile schrie Sanchia nicht mehr so oft, dennoch hatte sie das Zimmer bisher für sich allein behalten dürfen, obwohl die jüngeren Mädchen sich meist zu mehreren eine Kammer teilten.
Es war nur ein schmaler, karg eingerichteter Raum, kaum fünf Schritte lang und höchstens halb so breit, doch sie hatte ihn als ihre Zuflucht betrachtet. Panik stieg in ihr auf. Niemand sollte sehen, wie sie schluchzend und von kaltem Schweiß bedeckt in ihrem Bett hockte. Wie sie sich vor und zurück wiegte, als wäre sie der Zeiger einer Uhr, die zugleich vorwärts und rückwärts gehen wollte und daher seit jener Nacht im letzten Oktober immer nur dieselbe grauenvolle Stunde anzeigte.
»Ihre ganzen Truhen werden da niemals hineinpassen.« Die patzige Bemerkung war ihr herausgerutscht, bevor sie nachdenken konnte. Ihre Stimme klang zu ihrem Erstaunen ganz normal, obwohl sie so lange nicht benutzt worden war, dass Sanchia manchmal glaubte, sie müsse irgendwie rostig klingen. Falls sie überhaupt je sprach, dann nur, wenn sie gefragt wurde, und wenn irgend möglich, antwortete sie nur mit einem Wort und beschränkte sich ansonsten auf Nicken oder Kopfschütteln.
»Hört, hört, Sanchia hat einen ganzen Satz gesagt«, meinte eines der größeren Mädchen spöttisch. Sie hieß Elisabetta Grimani und war die jüngste Tochter eines Zehnerrats, womit sie gerne angab, obwohl es ihr nur wenig nützte. Da es bestenfalls den beiden ersten Töchtern eines Patriziers vorbehalten war, eine Ehe einzugehen, war Elisabetta als dritte Tochter getreu der venezianischen Sitte maritar o monacar ohne großes Federlesen ins Kloster abgeschoben worden, sobald sie das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hatte. Dabei hatte sie noch Glück gehabt, denn die meisten Mädchen wurden schon im Alter von sieben Jahren ins Kloster geschickt.
Als sie vor sechs Monaten hergekommen war, hatte sie sich die Augen aus dem Kopf geweint, doch inzwischen hatte sie sich gut ins Klosterleben eingefügt. Ja, mehr noch: Kürzlich hatte sie einem der anderen Mädchen im Beisein Sanchias anvertraut, dass sie es allemal vorziehe, unter Betschwestern zu leben als mit einem Ehemann, der doch nur saufen und sie prügeln und die Hausmädchen schwängern würde.
Sanchia wartete, ob die Ehrwürdige Mutter ihre Entscheidung wegen des Zimmers revidierte, doch diese Hoffnung war vergebens.
»Es wird schon gehen«, sagte die Äbtissin zuversichtlich. »Ihr werdet euch anfreunden, ihr beide.«
Sanchia hielt beharrlich den Kopf gesenkt und wäre am liebsten davongelaufen.
Während sie noch mit der neuen Situation haderte, erhob sich ein Kreischen.
»Feuer«, rief Elisabetta. »Es brennt!«
Sofort brach Panik aus, und alle Mädchen schrien durcheinander.
»Ruhe!« Albieras befehlsgewohnte Stimme beendete den Tumult. »Es brennt nicht hier, sondern woanders.«
Trotzdem standen Sorgenfalten auf ihrer Stirn, als sie mit ihren Blicken die aufsteigenden Qualmwolken verfolgte.
Sanchia hatte seit ihrer Ankunft in San Lorenzo das Kloster nicht verlassen, aber da sie auch ohne besonderen Richtungssinn von hier aus erkennen konnte, dass der Rauch den Campanile umhüllte, war klar, dass es bei der Piazza brennen musste.
Albiera wies die Mädchen an, entweder zur Terz zu beten oder ihren Aufgaben nachzugehen.
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