Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
erkundigt, aber er wollte nicht, dass das Kind ihn sah. Er hatte den verletzten Fuß verloren. Die Wunde sei brandig geworden, hatte er erzählt. Der Chirurgo habe schließlich keinen anderen Ausweg gesehen, als den Fuß abzunehmen.
Albiera bedauerte es zutiefst, ihn versehrt zu sehen, wusste sie doch mit untrüglicher Sicherheit, dass sie das hätte verhindern können. Immerhin erlaubte er ihr, den Stumpf zu untersuchen. Sie fand, dass man es hätte besser machen können, doch sie hatte auch schon weit üblere Beinstümpfe gesehen. Er besaß eine brauchbare Holzprothese, die er sich selbst angefertigt hatte. Damit könne er wieder ganz gut laufen, und das sei, wie er sagte, für ihn die Hauptsache. Albiera konnte den Schmerz, die Wut, die unendlichen Kämpfe hinter diesen Worten nur ahnen. Er hatte sich vor ihr verneigt und war wieder verschwunden.
Unten im Hof scholl Gelächter auf. Um das neue Mädchen hatte sich ein Kreis gebildet. Ganz offensichtlich war es Eleonora gleich am Tag ihrer Ankunft gelungen, sich beliebt zu machen. Sie verteilte die üblichen Begrüßungsmünzen an die wartenden Mädchen, während Sanchia immer noch unbeweglich abseits stand, den Blick verstohlen auf die anderen gerichtet. Worte kamen Albiera in den Sinn. Der junge Mann hatte sie bei seinem letzten Besuch ausgesprochen. Sie war so ein fröhliches Kind, sie plapperte den ganzen Tag.
Seufzend wandte die Äbtissin sich ab, um zurück in den Portego zu gehen. Die Glocke von San Lorenzo hatte soeben zur Terz geläutet. Ein guter Vorwand, um den Besuch loszuwerden.
Sanchia betrachtete die Neue unter gesenkten Lidern hervor. Sie trug ein Schoßhündchen unter dem Arm und war in teure Seidenkleider gehüllt. Zu ihren Füßen stand ein Käfig mit zwei schneeweißen Tauben.
Das Mädchen hieß Eleonora Toderini, so viel hatte Sanchia immerhin schon mitbekommen. Die Ehrwürdige Mutter hatte von ihr erzählt und sie alle gebeten, das Mädchen freundlich aufzunehmen, da es innerhalb weniger Monate beide Eltern verloren habe.
Besonders kummervoll wirkte das Mädchen nicht. Falls ihre Eltern tatsächlich erst vor kurzem gestorben waren, machte es ihr gewiss nichts aus.
Sanchia konnte aus dieser Entfernung nicht verstehen, was Eleonora erzählte, aber es war nicht zu überhören, dass das Mädchen laut und schrill lachte und alles, was sie von sich gab, mit übertrieben ausholenden Gesten unterstrich, als wäre der Klosterhof nicht groß genug, um ihr Platz zu bieten. Die anderen hingen an ihren Lippen. Hauptsächlich die jüngeren Nonnen hatten sich bei ihrer Ankunft hier draußen versammelt, sie freuten sich über jede Abwechslung, während die erwachsenen Schwestern sich tagsüber lieber drinnen aufhielten. Die meisten von ihnen litten unter panischer Angst, braun zu werden. Das hinderte sie allerdings nicht daran, sich häufig aufs Dach des Refektoriums zu schleichen, wo die Sonne am heißesten brannte. Dort setzten sie sich nieder, Gesicht und Körper unter Tüchern verborgen und auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut, bei dem das Oberteil abgetrennt war, damit das mit Zitrone und Kräutern eingeweichte Haar heraushängen und bleichen konnte.
Nach der Ankunft im Kloster mussten die Novizinnen nicht nur die ersten Gelübde ablegen, sondern man schnitt ihnen auch das Haar und gab ihnen Kutte und Schleier, was den Abstand zur Weltlichkeit symbolisieren sollte. Doch danach wuchs das Haar rasch wieder und blieb lang. Die Seidenkleider wurden wieder aus den Truhen geholt, und der Nonnenhabit blieb bis auf wenige Ausnahmen im Vestiario des Klosters. Kaum ein Mädchen kam freiwillig hierher. Profess und Weihe waren für sie keine erstrebenswerten Ziele.
Weit mehr Interesse brachten sie für ihr Äußeres auf. Unter anderem verfolgten sie mit geradezu fanatischem Eifer das Ziel, helleres Haar zu bekommen, ein Wunsch, dessen Sinn Sanchia sich nicht erschloss. Sie hätte alles darum gegeben, eine weniger auffällige Haarfarbe zu haben.
Eleonoras Haar war nicht allzu hell, eher braun wie das Fell einer Maus. Doch sie hatte große, dicht bewimperte Augen von einem klaren Bernsteingold, was sogar aus dieser Entfernung gut zu erkennen war. Ihr Gesicht war ein wenig zu rundlich, um schön zu wirken, doch die klare Linie ihres Kinns verlieh ihren Zügen einen besonderen Reiz, der sie über die Masse hinaushob. Sie sah aus wie ein Mensch, der hartnäckig seine Ziele verfolgte.
Die Äbtissin kam ins Freie, gefolgt von dem Mönch und dem anderen
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