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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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überhaupt jemand außerhalb der Familie über alle Zustände im Hause Caloprini Bescheid wusste, dann Rufio.
    »Hat sie dir wieder geschrieben?«, fragte der Sklave belustigt.
    Lorenzo sah den Schalk in den dunklen Augen und verzog das Gesicht. Er selbst konnte kaum Erheiterndes an Eleonoras Ergüssen entdecken. Erst heute hatte sie ihn wieder aufgefordert, sie endlich dem grausigen Schlund der Nonnenhölle zu entreißen . Natürlich wollte sie vorher geheiratet werden, das hatte sie sicherheitshalber ebenfalls nochmals bekräftigt. Auf dass unser gemeinsames Leben auf ewig dauere . Ewig! Himmel, sie war erst elf!
    »Was schreibt deine Cousine denn so?«
    »Der Schleier steht ihr nicht, sagt sie. Er ist das Seil zu ihrem Galgen.« Lorenzo hatte wahllos eine ihrer typischen Formulierungen herausgegriffen. Ebenso gut hätte er eine beliebige andere Stelle nehmen können, sie klangen alle gleichermaßen dramatisch. Er verkniff es sich, Rufio von Eleonoras Heiratswünschen zu erzählen, damit hätte der Schwarze ihn nur wieder wochenlang aufgezogen.
    »Was genau sie an allem stört, schreibt sie nicht. Außer einer Sache vielleicht. Man hat sie mit einem anderen Mädchen in eine Kammer gesteckt, das sich weigert, mit ihr zu sprechen.« Lorenzo verzog das Gesicht. »Ich kann sie verstehen. Das Mädchen, meine ich.«
    »Muss hart im Kloster sein«, sagte Rufio. Er spuckte auf den Boden und zeigte seine Zähne. »Nichts als beten, kratzige Wolle tragen, sich mit Geißeln schlagen, in der eiskalten Zelle auf dem Boden schlafen, das ganze Jahr über fasten.« Seine Worte waren von einem Grinsen begleitet. Er nahm sich selbst nicht sonderlich ernst. Lorenzo kam es manchmal so vor, als wäre das Leben für den Sklaven nur ein einziges großes Spiel. Der Schwarze war schon ins Haus gekommen, als sein Vater noch ein Kind gewesen war. Lorenzo konnte sich nur verschwommen an den Tag erinnern, an dem er zum ersten Mal wahrgenommen hatte, dass Rufio anders war, aber er wusste noch ganz genau, wie fasziniert er von der dunklen Haut und der kehligen Stimme gewesen war.
    Rufio war jederzeit zur Stelle, wenn man ihn brauchte, nicht nur für Lorenzo, sondern auch für alle anderen. Jeder nahm seine Dienste in Anspruch und kommandierte ihn herum, ganz nach Belieben und ohne Rücksicht darauf, ob es bei Tag oder bei Nacht war. Doch niemand hatte Rufio je klagen hören.
    Lorenzo schob die klammen Hände unter die Achselhöhlen. Sein Atem wurde in der Kälte zu Dampf. Er hatte Hunger und verspürte das Verlangen nach einem heißen Getränk. Und dazu ein diffuses Bedürfnis nach Wärme von einer anderen Art, das ihm kein noch so bequemer Platz am Kamin erfüllen konnte. Jedenfalls nicht in diesem Haus. Es war neu und makellos, dieses Haus. Es sah genau so aus, wie Meister Lombardo es geplant und er selbst es sich vorgestellt hatte. Ein Schmuckstück, das seinesgleichen suchen konnte.
    Eine Weile hatte Lorenzo gehofft, dass hier alles anders werden würde. Sein Wunsch hatte sich auf absurde Weise erfüllt: Es war schlimmer als je zuvor.
    »Ist meine Mutter in ihren Gemächern?«, fragte er.
    »Nein, im Wohnraum neben dem Portego.«
    »Mein Vater?«
    »Auch.«
    Lorenzo verlor schlagartig jedes Interesse, ins Haus zurückzugehen. Um in seine Kammer zu gelangen, musste er den großen Hauptsaal des Piano nobile durchqueren und käme an dem angrenzenden Wohnraum vorbei.
    Jede Begegnung mit seiner Mutter endete unweigerlich in Jammerattacken und Vorwürfen. Sein Vater war erträglicher, immerhin blieb er stets gelassen und höflich. Dennoch fühlte Lorenzo sich in seiner Gegenwart oft unbehaglich. Es gab eigentlich keinen besonderen Grund dafür, jedenfalls keinen, der erkennbar gewesen wäre. Vielleicht lag es an der Art, wie sein Vater ihn ansah. Oder besser: ihn übersah. So, als wäre er immer noch nicht würdig, ein Caloprini zu sein.
    Dabei hatte Lorenzo längst aufgehört, sich auf Baustellen herumzutreiben, wie sein Vater es nannte. Seine Mutter hatte ihn angefleht, die Familienehre nicht länger auf diese unerträgliche Weise zu beschmutzen. Er war ihrem Wunsch gefolgt, doch damit hatte er es seinen Eltern anscheinend auch nicht recht machen können. Wenn sie zu dritt beisammen saßen, fühlte Lorenzo sich wie in einer Gruft.
    Rufio seufzte. »Jetzt komm ins Haus. Du frierst dir hier oben noch wertvolle Teile ab. Außerdem ist dein Onkel Francesco gerade eingetroffen. Er will dir guten Tag sagen und etwas mit dir bereden.«
    »Warum hast du

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