Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
doch. Aber ich …« Danach geriet sie mit ihren Äußerungen ins Stocken. »Es tut mir leid«, schloss sie lahm, während ihr Blick durch den Türspalt in den Besucherraum fiel. Annunziata bemerkte es und zog die Tür sofort zu, doch Sanchia hatte den Mann, der vorhin gesprochen hatte, bereits gesehen. Sie wusste nun, woher sie seine Stimme kannte. Es war Jacopo, der Orangenhändler.
»Was tut dir leid?«, fuhr Annunziata sie an. »Dass du Dinge gehört hast, die nicht für deine Ohren bestimmt sind?«
»Ähm … Ja. Und … hm, Ihr solltet vielleicht wissen, dass Bruder Ambrosio nicht mehr auf dem Abtritt ist. Ich habe ihn vorhin über den Hof laufen sehen.«
Der Ausdruck von Ungehaltenheit wich aus Annunziatas Zügen und machte milder Belustigung Platz, gepaart mit leichter Sorge. Die Nonne schaute über die Schulter in das Besucherzimmer, darauf bedacht, dass der Spalt in der Tür schmal genug blieb, um Sanchia weiterhin den Einblick zu versperren.
»Also, Freunde, ich fürchte, unsere kleine Feier ist zu Ende.« An Sanchia gewandt, fügte sie hinzu: »Hab Dank, kleine Schwester. Ich weiß, dass du sonst nicht viel sprichst. Schön, dass du heute eine Ausnahme gemacht hast.«
Als sie zu ihrer und Eleonoras gemeinsamer Kammer zurückkam, hatte das Weinen aufgehört. Sanchia hatte die Hand bereits am Türgriff, als schmeichlerische Worte von drinnen sie innehalten ließ.
»Ich weiß, dass du heute wieder gebacken hast, mein Kind. Das ist doch keine Schande. Kochen und Backen sind wie Nähen und Weben gottgefällige Beschäftigungen, denen Frauen sich zum Wohle der Allgemeinheit immer und freudig hingeben sollten. Daran ist nichts auszusetzen.«
Das war unverkennbar die Fistelstimme von Bruder Ambrosio. Er musste über die Außentreppe in den ersten Stock gekommen sein, sonst hätte sie ihn vorhin unten vorbeigehen hören.
»Was hingegen nicht hinzunehmen ist, dass du es mit Heimlichkeiten verbindest.«
»Ich weiß nicht, was Ihr meint.« Das war Eleonora, halb verstockt, halb ängstlich. Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie sehr wohl wusste, worauf der Dominikanermönch hinauswollte.
»Du hältst eigene Hühner, obwohl die Regeln des Klosterlebens weltliche Besitztümer verbieten. Du verwahrst Eier, Butter und Mehl in deiner Truhe, obwohl die Bestimmungen der Hausordnung dies untersagen. Und du verbringst die Gebetszeiten in der Küche, statt den Herrn in der Kirche mit Psalmen zu erfreuen.«
Eine Weile herrschte Schweigen, dann fuhr der Mönch langsam, mit besonderem Timbre in der Stimme fort: »Du musst doch keine Angst vor mir haben, mein Kind. Lass mich einmal deine köstlichen Krapfen probieren. Lass mich schmecken, ob sie wirklich so gut sind, wie alle hier sagen!«
Sanchia hörte, wie Eleonora einen erstickten Laut von sich gab. Mehr brauchte es nicht. Sanchia stieß, ohne zu zögern, die Tür auf und platzte in eine Szene hinein, die ihr ebenso merkwürdig wie bizarr erschien, obwohl sie auf den ersten Blick alltäglich, ja beinahe banal wirkte.
Bruder Ambrosio stand dicht vor Eleonora, eine Hand halb gegen ihren Hals, halb in ihr Haar geschoben, mit der anderen ein Stück Gebäck haltend und im Begriff, davon abzubeißen. Wie er dazu kam, Eleonora auf diese familiäre Weise zu berühren, entzog sich Sanchias Verständnis. Doch dass er den Krapfen in Eleonoras Truhe gefunden hatte, bedurfte keiner großen Kombinationsgabe. Ebenso wenig wie der Zusammenhang zwischen den schreckerfüllten Augen ihrer Zimmergenossin und dem mitten im Raum dräuenden Inquisitor der Geistlichkeit.
»Da bin ich wieder«, sagte Sanchia wenig geistreich in das perplexe Schweigen hinein. »Der Abritt war besetzt.«
Ambrosios eben noch lächelnde Gesichtszüge wurden starr. Seine Hand sank von Eleonoras Hals herab und verschwand in der Seitentasche der Kutte. Der Krapfen wurde mit derselben Beiläufigkeit auf die Truhe gelegt.
»Vergesst nicht euer Nachtgebet, meine Kinder.« Mit diesen Worten zog sich der Mönch auf den Gang zurück. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Eleonora starrte Sanchia an, und dann wechselten ihre Blicke zwischen dem angebissenen Gebäckstück, der geschlossenen Tür und ihrer Zimmergenossin hin und her.
Schließlich lachte sie unsicher auf, dann schüttelte sie den Kopf und brach in Tränen aus. Aufschluchzend sank sie auf ihrer dicken, weichen Matratze zusammen, die Hände vor das Gesicht geschlagen und unverständliche Worte stammelnd.
Sanchia schluckte. Sie stand wie angenagelt
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