Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
schwarze Flecken unter der Haut, ist er ebenfalls dem Tod geweiht. Wenn die Beulen nicht von Eiter befreit werden können und sich die Fäulnis nach innen hin ausbreitet, kann man den Kranken meist auch nicht mehr retten.« Er bemerkte ihre Verunsicherung und ihre Furcht.
»Was hast du, Kind?«
Sie antwortete nicht ihm, sondern wandte sich an die Äbtissin. »Könnt Ihr bitte mitkommen? Eleonora – sie hat die Pest.«
Lorenzo legte sich auf der Taurolle zurück und schaute zum Himmel auf, der sich in endloser Bläue über dem Meer spannte. Es roch nach Teer, Salz und Fisch und kaum merklich nach den Gewürzen, die in Säcken tief unter ihm im Bauch des Schiffes lagerten. Über ihm blähten sich die großen Dreieckssegel in der steifen Brise. Das Wetter war seit drei Tagen wolkenlos klar, und es ging ausreichend Wind. Der Konvoi machte gute Fahrt, seit sie nach ihrer letzten Zwischenlandung von Candia aufgebrochen waren. Auf der Höhe von Zante hatte es einen kurzen Zwischenfall gegeben, als ein Schiff ungewisser Herkunft ihren Weg gekreuzt hatte, die Kanonen in Richtung des Leitschiffs der venezianischen Galeeren gewandt. Doch das fremde Schiff war weder von Piraten noch Osmanen bemannt, sondern Begleitschutz einer holländischen Kogge, auf der die Pest ausgebrochen war und die nun vor der griechischen Küste in Quarantäne lag.
Nach diesen durch Zurufen ermittelten Informationen ließ der Kommandant den Konvoi augenblicklich beidrehen und nahm direkten Kurs auf das Adriatische Meer. Die ursprüngliche Absicht, in Korfu anzulegen und dort die Wasservorräte zu ergänzen, wurde fallen gelassen.
Die restliche Fahrt wurde größtenteils unter bedrücktem Schweigen zurückgelegt. Der Kauffahrer aus Portugal hatte vor der Fahrt ins Ionische Meer in Venedig Fracht aufgenommen. Bis dahin waren alle an Bord gesund gewesen. Das Schreckgespenst der Seuche hatte sein hässliches Haupt erhoben.
Lorenzo war des Nachdenkens müde. Er erhob sich von dem zusammengerollten Tau und übte sich in einer neuen Fertigkeit, die er zur Verblüffung aller Seeleute nach nur wenigen Versuchen wie kaum ein anderer an Bord beherrschte. Einige von ihnen hatten behauptet, es läge daran, dass er es mit seiner Linken machte. Da diese näher beim Herzen sei, hätte er einen Vorteil. Lorenzo war es gleichgültig. Er hatte seinen Spaß daran, nicht, weil er die anderen übertrumpfen konnte, sondern weil es ein genaues Auge und vollkommene Aufmerksamkeit erforderte. Der Dolch zuckte von seiner Hand und steckte gleich anschließend zitternd im Mast. Lorenzo zog ihn heraus, ging ein paar Schritte zurück und wiederholte den Wurf. Der Dolch landete exakt an derselben Stelle wie vorher. Er wiederholte es noch einige Male, wobei er jedes Mal die Entfernung vergrößerte.
»Mein lieber Junge, willst du das Schiff in Stücke sägen?«
Francesco, der in seiner abgerissenen Seemannskluft nicht mehr viel Ähnlichkeit mit einem Edelmann hatte, kam grinsend näher, den Blick auf die schon recht zersplitterte Stelle im Hauptmast gerichtet. Das offene Haar hing ihm verwegen in das gebräunte Gesicht, was ihm das leicht anrüchige Aussehen eines Piraten gab. Ihm war anzumerken, wie sehr er das Leben auf See genoss. Er verbrachte mehr Zeit in den Wanten und am Ruder des Schiffs als am Kartentisch in ihrer gemeinsamen Kabine.
»Noch ein paar Tage, und wir sind zu Hause«, sagte er. »Hat dir die Reise gefallen?«
Lorenzo wollte die Frage verneinen, doch das wäre nicht die ganze Wahrheit gewesen. Bis zu einem bestimmten Augenblick hatte er die Reise als herrliches Abenteuer empfunden, ein Gefühl, das binnen weniger Minuten in Schmerz umgeschlagen war. Sein Herz war immer noch wie ein harter Klumpen, wenn er an ihr Gesicht beim Abschied dachte. Sie hatte geweint und versucht, ihm mit Gesten und Blicken begreiflich zu machen, wie sehr sie unter der Trennung litt. Er selbst hatte nicht weinen wollen, schließlich war er kein kleiner Junge mehr. Sein Vorsatz hatte exakt bis zu dem Moment gehalten, als sein Onkel den Befehl zum Ablegen gegeben hatte.
»Du vermisst sie immer noch, oder?«
Lorenzo zuckte die Achseln. Welchen Sinn hatte es, das Offensichtliche abstreiten zu wollen?
»Ich hätte sie für dich kaufen können«, sagte Francesco. »Eine Zeit lang hättet ihr vielleicht glücklich sein können, du und die kleine Sklavin. Aber dann wäre dieses Glück zerbrochen wie Glas, das jemand zu Boden fallen lässt. Und sie – sie wäre vergangen wie eine
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