Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Halstuch und sein Barett. Er war ein Patrizier vom Scheitel bis zur Sohle. Einzig der Gurt, in dem er seinen Dolch stecken hatte, schien nicht zu der eleganten Kleidung zu passen. Er war aus abgewetztem Leder und hing lose zwischen Wams und Beinkleidern, als diente er eher dem schnellen Zugriff als der Zierde.
Elisabetta und die Übrigen hatten sie bereits gesehen und winkten zurück. Es war zu spät, einfach zu verschwinden, obwohl es Sanchia so am liebsten gewesen wäre. Aber Eleonora hob kämpferisch den Kopf und marschierte geradewegs auf die Gruppe zu. Ihr entschlossen gerecktes Kinn zeigte, dass sie sich nicht so schnell unterkriegen lassen würde.
»Was kommt denn hier für ein wunderlich gekleidetes Gespann«, sagte einer der jungen Männer, ein Erbe aus dem Hause Corner. Statt der üblichen Schnabelschuhe trug er Schuhwerk nach der neuesten Mode, das an den Fußspitzen breiter war und von den Leuten, die dieser Erscheinung eher skeptisch gegenüberstanden, Kuhmäuler genannte wurde.
»Wahrhaftig, eine Kreuzung aus Schweinehirt und Dame«, empfing er Eleonora und Sanchia. »Wie sehr Euch diese Gewänder kleiden, meine Hübschen!«
Sanchia hörte das Kichern von Elisabetta und wusste, dass diese die Herkunft der geborgten Kleidung vor den anderen ausgeplaudert hatte.
Sanchia spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie wurde sich des Stallgeruchs an ihrer Kleidung und der Kälte bewusst, die durch die für dieses Wetter viel zu dünnen Stiefel drang. Es kam oft genug vor, dass die Mädchen sich über ihre schlichte Kleidung lustig machten, doch es war ungleich erniedrigender, ähnliche Äußerungen aus dem Mund eines jungen Mannes zu hören. Vor allem dann, wenn es in Gegenwart dieses Gecken Lorenzo Caloprini geschah. Umso schlimmer musste es für Eleonora sein, die stets solchen Wert auf ihr Äußeres legte und der es immer noch nachhing, wie Lorenzo sich ihr gegenüber damals benommen hatte.
»Besser die Stiefel eines Stallknechts an schönen Beinen als eine seidene Strumpfhose und Kuhmäuler an den Stelzen eines Kranichs«, platzte Sanchia, ohne nachzudenken, heraus.
Alfonso Corner, dessen unterentwickelte Waden tatsächlich Ähnlichkeit mit den dürren Extremitäten eines Stelzvogels aufwiesen, verfärbte sich dunkelrot, während alle anderen in schadenfrohes Gelächter ausbrachen. Enrico Grimani trat übermütig an Sanchias Seite und zog ihr die Mütze vom Kopf. »Lasst sehen, was für eine freche kleine Nonne das eben gesagt hat!«
Sanchia wich unwillig zurück und griff nach der Mütze, doch Enrico hatte sie bereits über ihren Kopf hinweg einem anderen zugeworfen, der sie lachend auffing und das Spiel begeistert fortsetzte, als Sanchia sich zu ihm herumdrehte.
Sie spürte die Blicke des jungen Caloprini von der Seite und drehte sich betont gleichmütig weg, als er sich in Bewegung setzte und näherkam.
»Da drüben verkauft ein Mann Punsch«, sagte Eleonora hastig. »Ich gehe rasch und hole uns welchen.«
Sanchia wollte ihr folgen, doch Lorenzo war bereits auf sie zugetreten. »Ich kenne Euch. Wir sind uns früher schon einmal begegnet. Euer Name ist Sanchia, wenn ich mich recht erinnere.«
Da er sie mit Namen angesprochen hatte, konnte sie schlecht weiterhin so tun, als würde sie ihn nicht wahrnehmen. Frustriert mit beiden Händen durch ihr offenes Haar fahrend, schaute sie Eleonora nach, die mit unsicher rutschenden Schritten über das Eis in Richtung Riva ging.
Lorenzo stand so dicht vor Sanchia, dass sie zu ihm aufschauen musste. Er war gut einen Kopf größer als sie, was sie dazu veranlasste, auf der Stelle einen Schritt zurückzuweichen.
Er lächelte. »Ihr wart mit Eurem Vater auf der Baustelle, damals, als unser Haus gebaut wurde. Ihr habt mir tausend Fragen gestellt, wisst Ihr noch?«
»Nein«, behauptete Sanchia. »Mein Gedächtnis ist leider sehr schlecht.«
»Meines nicht. Ich weiß noch genau, welche Dinge Ihr von mir wissen wolltet. Wie tief die Pfähle für die Gründung in die Erde gerammt werden müssen. Wie dick die Fundamente aufgemauert werden. Und noch mehr solcher Fragen.«
»Damals war ich sieben, das ist zu lange her, um sich daran zu erinnern.«
Er lächelte. »Aber Ihr erinnert Euch doch, sonst wüsstet Ihr ja nicht, wann es war!«
Dem konnte sie schlecht widersprechen, sondern sich höchstens darüber ärgern, dass sie auf so dumme, vorschnelle Art geantwortet hatte.
»Das liegt alles zu lange zurück«, behauptete sie. »Ihr ähnelt niemandem, den
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