Die Mächte des Feuers
Menschen an den Tischen und die Musikanten. »Der Weltenstein darf nicht in die falschen Hände gelangen.«
Sie hob die Finger, die in weißen Handschuhen steckten. »Sehen diese Hände für Sie aus wie die falschen, Grigorij?«, neckte sie ihn. »Denken Sie, dass ich Ihre Feindin bin?«
»Nein. Sonst hätte ich längst etwas gegen Sie unternommen, liebe Arsenie«, antwortete er ehrlich und ließ die Frau spüren, wie viel Ernsthaftigkeit in seinen Worten steckte. »Wie ich bereits sagte: Sie kamen in den Bildern nicht vor. So leid es mir tut: Sie spielen im Wettstreit um den Drachenstein keine Rolle.«
Arsenie gab sich entrüstet. »Monsieur! Sie verurteilen mich zur Bedeutungslosigkeit! Das kann ich nicht hinnehmen.« Beleidigt kratzte sie die Reste des Parfaits zusammen. »Wollen Sie nicht vielleicht einen zweiten Blick in die Zukunft werfen?«
»Nein. Nicht in diese Zukunft«, sprach er leise. »Ich vermag Ihnen nur einen Ratschlag zu geben: Sie sollten sich Gedanken machen, warum Sie nicht erscheinen.« Er schenkte sich erneut ein und trank den letzten Rest direkt aus der Flasche, die er dann mit dem Hals voraus in den Sektkühler des Nachbartisches rammte; auf die Proteste achtete er nicht.
»Keine Ahnung… Ich wurde aufgehalten? Oder ich bin…« Sie sah in Grigorijs Augen und erschrak, »…tot?«
Er erwiderte nichts.
XII.
»Die Linie Barlaam
Ausgehend von Barlaam, der beim Anblick eines Drachen die Ruhe bewahrte und Honig genoss, setzen die Nachfahren ebenso auf Fallen. Zur Anwendung kommt ein Köder mit stark klebenden Substanzen, die den Drachen die Kiefer, die Zunge und den Schlund versiegeln und sie elend verhungern und verdursten la s sen. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass sie in Raserei ve r fallen und vor ihrem Tod Verwüstung anrichten.«
aus der Serie ›Drachentöterinnen und Drachentöter im Verlauf der Jahrhunderte‹
Im ›Münchner Tagesherold‹, Königlich-Bayerisches Hofblatt vom 1. Juli 1924
21. Januar 1925, Hauptstadt London, Königreich Großbritannien
Silena hatte Schwierigkeiten, sich auf die telefonische Unterredung mit dem Erzbischof zu konzentrieren. Ihr gingen zu viele Gedanken durch den Kopf, von Eris bis zum Tod von Goara. »Ich glaube, die Verbindung nach München ist schlecht, Exzellenz. Ich habe Sie nicht richtig vernommen«, unterbrach sie den missionarischen Redeschwall. »Ich werde Sie später noch einmal…«
»Großmeisterin, Sie werden nicht die Unverfrorenheit besitzen und jetzt auflegen!«, wetterte Kattla, und sie sah ihn in seinem Büro in München aus dem Sessel springen. »Edinburgh ist nichts mehr als ein rauchendes Trümmerfeld, und um ein Haar wären Sie in den Flammen des Fünfenders umgekommen.« Er schnaufte mehrmals, bevor er weitersprach. »Sie unterbrechen Ihre Mission augenblicklich. Es sind weitere Drachentöter auf dem Weg nach Großbritannien, sie werden sich um den Teufel kümmern. Ich brauche Sie in München.«
»Um was zu tun, Exzellenz?«
»Eine Sonderaufgabe.«
»Die wäre, Exzellenz?« Das Schweigen am anderen Ende bestätigte ihre Vermutung. »Bei allem Respekt, aber Sie wollen mich hinter Mauern sperren, mir Männer vorstellen und mich in weniger als einem Jahr schwanger sehen, ist es das, Exzellenz?« Sie hängte auf und trat gegen den massiven Schreibtisch, dass der Mann dahinter zusammenfuhr. Sie hatte sich seinen Namen nicht merken können, er war ein austauschbarer Sekretär. »Was gibt es Neues von der Cadmos?«, blaffte sie ihn an.
»Nichts, Großmeisterin«, stammelte er und schaute noch immer auf das Telefon. »Sie haben Exzellenz…?« Er konnte die Anmaßung nicht aussprechen. »Einfach so?«
»Sind die Berichte über den Mord im Münchner Officium schon da?« Sie hielt ihm die geöffnete Rechte hin und bekam zwei Seiten Papier in die Hand gedrückt. »Danke. Und jetzt verlassen Sie bitte den Raum.«
Der Sekretär hustete in die hohle Hand. »Ich weiß nicht, ob ich das…«
»Raus! Bitte!« Silena machte zwei Schritte bis zur Tür und öffnete sie. Als der Mann gegangen und sie allein war, ließ sie sich die Verbindung zu Eris' Sekretärin geben. »Ich suche Mister Mandrake. Hier ist Großmeisterin Silena.«
»Ich höre, Großmeisterin«, sagte die Frau und klang nervös. »Es tut mir leid, aber seit dem Einsatz in Edinburgh hat er sich nicht mehr gemeldet.«
»Nennen Sie mir Ihre Adresse, ich komme vorbei«, verlangte sie.
»Das geht nicht. Niemand darf uns besuchen,
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