Die Mächte des Feuers
mehr ein Schatten denn alles andere. Doch als sich die Zähne in den Bobby schlugen, wurde sein Leib zerteilt und fiel in zwei Hälften auf den Kachelboden.
Einer der Köpfe bekam die schimmernde Seele von Nicolas Hodge zu fassen. Sie wand sich und verformte sich zwischen den Zähnen, brüllte wie ein Tier, zwischendurch schrie er nach Arsenie. Der Drache zerrte die Seele aus der zerstörten Halbkugel heraus, und sie verstummte mit einem letzten gellenden Aufheulen.
Silena wich einem Kopf aus und stach mit dem Schwert danach. Es war, als träfe sie Luft. Wirkungslos fuhr das Drachenbein durch die Schnauze. Geistesgegenwärtig warf sie sich zur Seite und entging den Kiefern um Haaresbreite. »Sàtra! Tun Sie etwas!«, rief sie.
Grigorij feuerte seine Pistole nach der Erscheinung, aber die Kugeln brachten ebenso wenig etwas wie die Schneide der Drachentöterin. Er rettete sich mit einem beherzten Sprung vor den Zähnen und rutschte neben Silena. »Was ist das? Ein Geisterdrache?«
»Keine Ahnung«, knurrte sie zurück. Das hatte ihr noch gefehlt: ein Fünfender, den man mit ihren Waffen nicht bezwingen konnte.
Arsenie dachte unwillkürlich an Grigorijs Andeutung, die er beim Essen gemacht hatte. Der Tod! Sie spürte das Verderben nach ihr greifen – und mobilisierte all ihre Konzentration, um dem Drachen eine Wolke aus Ektoplasma-Lanzen entgegenzuschleudern. Sie hob die Hände und formte die Energie zu Geschossen.
Weiße Strahlen trafen die Köpfe nacheinander, durchbohrten sie und ließen die Häupter schwarz bluten; die gelben Augen verloren an Leuchtkraft. Aufbrüllend verging die Erscheinung und wandelte sich zu wabernden, weißen Schlieren, die wie Qualm in der Luft hingen.
»Ich…« Arsenie sackte erschöpft auf dem Stuhl zusammen, und Grigorij war gerade noch rechtzeitig zur Stelle, um sie vor dem Sturz auf den Boden zu bewahren.
Im gleichen Moment verschwanden die Reste der Barriere um sie herum und gaben den Blick auf das Krankenzimmer frei. Die dünnen Vorhänge hingen in Fetzen herab und hatten dunkle Flecken erhalten; der Boden hatte sich in einen Bluttümpel verwandelt, aus dem Leichen und abgetrennte Gliedmaßen wie abgestorbene Pflanzenreste herausragten. Der metallische Geruch von Blut hing intensiv in der Luft, die umgeworfenen Betten, die Wände hatten sich rot gefärbt, die Spritzer reichten sogar bis an die Decke.
Silena senkte das Schwert. Sie tat einen Schritt zurück, fiel über den Kadaver des Bobbies und stürzte rücklings in dessen Blut.
»Ist … ist er weg?«, hörte sie die Frage neben ihrem Ohr, wandte sich um und sah den aschfahlen Skelton unter dem Bett von Nicolas Hodges Leiche kauern.
22. Januar 1925, Calais, Königreich Frankreich
Die Theben schwebte majestätisch über die Kanalküste hinweg.
Silena erkannte die glitzernden Wellen, die einen knappen Kilometer unter ihnen wogten. Es war ein schöner Tag, mit Sonne und klarem Himmel bis zum Horizont. Das Wetter und ihre Stimmung standen im Widerspruch zueinander.
Hauptmann Litzow gab dem Steuermann neue Anweisung. Gehorsam reagierte das Luftschiff auf die Lenkbewegungen, und die Motoren dröhnten unter Volllast lauter als sonst. »Verfluchter Gegenwind«, meinte er. »Gehen Sie auf dreitausend Meter, Gefreiter«, befahl er und sah auf den Windmesser. »Da sollten die Strömungsverhältnisse besser sein. Ich möchte so schnell wie möglich in München sein.« Er schaute zum Techniker. »Behalten Sie den Druck der Hülle im Auge, Obergefreiter. Wir haben ein bisschen zu wenig Helium dabei, ich will keine Überraschungen erleben.« Er stellte sich neben die Großmeisterin. »Wir kommen gut voran.«
»Sehr gut«, seufzte sie und verschränkte die Arme auf dem Rücken. »Wie viele Orte kennen Sie mit einem Goldenen Dach, einer Herrengasse und einem riesigen Keller, Hauptmann?«
»Keinen einzigen«, musste er zugeben. »Warum fragen Sie?«
»Eine Spur.« Sie kreuzte die Arme vor der Brust. »Unsere einzige Spur nach dem Massaker im Hospital. Und ich weiß nicht, ob der Fünfender das Gleiche weiß wie wir.«
Litzow zwirbelte die Bartenden in die Höhe. »Sie haben einen Hellseher und ein Medium an Bord. Sind diese Leute nicht in der Lage, etwas herauszufinden?«
»Sie glauben an so etwas?«
»Es wird keinen Schaden anrichten, sich an die Strohhalme zu klammern, oder?«
»Sie haben Recht, und ich hatte bereits gefragt. Aber unsere Französin fühlt sich seit der Seance unpässlich und erschöpft, und der Russe
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