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Die Mächte des Feuers

Die Mächte des Feuers

Titel: Die Mächte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Geschöpf noch unheimlicher, Furcht einflößender; nur Caruso sang nach wie vor tapfer, als sei gar nichts geschehen.
    Xing wurde langsamer.
    »Keine Sorge. Ddraig Goch tut dir nichts.« Vouivres silbrig funkelnde Kralle schob sie erneut an, Xing trudelte vorwärts. Es machte dem Drachen mit dem Karfunkelauge offenbar Spaß, sie immer weiter zu treiben.
    Ddraig Goch – den Namen kannte sie. Der Herr hatte ihn erwähnt, als er vom Herrscher von Wales sprach. Sie watete durch Trümmer, Staub und Asche. Sie schauderte, als ihr bewusst wurde, auf wen sie die Sohlen senkte, denn es war eben nicht nur fein geriebenes Gestein. Der brutale Tjushin, aber auch all ihre Freunde waren zu aufwirbelnden grauen Flöckchen geworden. Die Chinesin kämpfte mit den Tränen. Der Palast des Herrn war erobert und entweiht, geschändet. Die Geborgenheit, der Frieden und die Seligkeit hatten sich aufgelöst wie die Menschen.
    Aus dem Seitengang erschien der grüne Drache, der sie an einen gewaltigen Waran erinnerte, nur dass er einen breiteren Kopf und dickere Hornplatten besaß; die violette, gespaltene Zunge schoss aus dem Maul, und die glitzernden, bösen Augen starrten zu ihr und Vouivre. Sie erkannte an der rechten Seite statt der Schuppen eine Stelle, die von vier biegsamen Eisenbändern geschützt wurde, die wiederum mit Drähten im umliegenden Hornpanzer befestigt waren; vermutlich war der Drache einst dort verwundet worden.
    »Keiner von euch rührt sie an«, hörte sie ihren Beschützer sagen.
    »Warum nicht? Sie ist ebenso wertlos wie die anderen«, kam die Antwort, und Xing vermutete, dass der grüne Drache gesprochen hatte. »Sie wissen nichts.«
    »Ich möchte dennoch warten, bis sich unser geschätzter Freund Iffnar zu uns gesellt hat.« Vouivres Kopf schwenkte herum, er sah auf das Grammophon. »Wäre jemand so freundlich?«
    Ddraigs Schweif stieß blitzschnell und peitschend nieder, zerschlug das Abspielgerät in tausend Stücke, die Schellackplatte zersprang. Xing unterdrückte einen Schrei.
    »Merci. Ich werde mich niemals an diese unsäglichen Errungenschaften gewöhnen«, meinte Vouivre erleichtert und blickte Xing an. »Der Klang schmerzt in meinen empfindlichen Ohren. Ich habe nichts gegen Gesang, ganz im Gegenteil, und Monsieur Caruso ist ein ebenso begnadeter wie hässlicher Mensch. Aber ihn blechern aus einem Trichter zu hören, ist mir zuwider. Es verzerrt und tötet das Lebendige darin.«
    »Als die Barden durch das Land zogen, sangen und spielten, das waren noch Zeiten.« Der rote Drache ließ sich nieder, legte den Kopf auf die vierklauigen Vorderpranken und stieß heiße Luft aus. Seine Stimme klang heller als die der beiden anderen. Ein Weibchen? »Man hätte Edison töten sollen. Für sein Grammophon, für die verfluchte Elektrizität und alles, was daraus wurde.«
    »Reaktionäres Pack«, rief jemand, gleich darauf erschallte Gelächter.
    Die drei Drachen wandten die Köpfe und blickten zu einer weiteren Tür in der Halle, durch die ein grauer Drache kam, dessen Flügel im Vergleich zu Vouivres und Ddraigs klein und verkümmert wirkten. Dafür erschien die Gestalt umso kräftiger, die Kiefer waren mächtig und konnten gewiss mehrere Baumstämme gleichzeitig durchbeißen. »Wenn ihr schon die Zeit zurückdrehen wollt, lege ich euch unbedingt den Tod dieser beiden Amerikaner ans Herz, die den Menschen das Fliegen ermöglichten. Ich habe mein Soll erfüllt und Lilienthal zum Absturz gebracht.« Er betrat die geschwärzte Halle und schaute sich um. »Ein hübsches Feuer, geschätzte Ddraig.«
    »Ein Lob aus Eurem Mund ist wie üppiges Mahl.« Der rote Drache richtete sich auf, sein Schatten wuchs an der Wand zu spektakulärer Größe. »Es liegt schwer im Magen und führt zu nichts als Unwohlsein. Behaltet es daher, Iffnar.«
    Auch dieser Name war Xing nicht unbekannt: ein Drache, der entgegen einer mittelalterlichen Sage den Kampf gegen den Helden überlebt hatte und deswegen nur noch ein winziges Stückchen seines Herzens besaß. Sie überlegte fieberhaft. Ihr wollte der Name des Recken nicht einfallen, weil er fremd und merkwürdig in ihrer Sprache klang. Ein Deutscher, wenn sie sich richtig erinnerte.
    Xing fühlte sich angesichts der Ungetüme um sie herum noch kleiner, als sie ohnehin war, eine Maus unter Hunden. Sie betrachtete Vouivres funkelndes Schuppenkleid, das als einziges von den versammelten Drachen ohne Kampfspuren geblieben war. Die anderen zierten sich mit zahlreichen Kratzern und Rissen auf

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