Die Mächte des Feuers
den Hornplatten. Sie machten den Anblick der riesigen Wesen noch martialischer und beängstigender. Xing benötigte all ihre Tapferkeit, um sich nicht zur Flucht zu wenden, die gewiss den Tod nach sich gezogen hätte.
»Ihr erscheint spät, mein deutscher Freund«, sagte Vouivre freundlich und ein wenig spöttisch. »Hattet Ihr Gegenwind?«
»Ich war lange vor Euch da, aber zog es vor, erst in den Hort einzudringen, nachdem Ddraig die Posten auf dem Gipfel ausgeschaltet hatte. Ich träte ungern allein gegen Gorynytsch an, und Ihr werdet verstehen, dass ich an dem bisschen Herz, das ich in mir trage, doch sehr hänge.« Iffnar betrachtete Xing, das Feuer spiegelte sich in seinen Augen. »Ist das alles?«
Die Chinesin wurde das Gefühl nicht los, dass zwischen den Drachen eine enorme Spannung herrschte. Es war, als befänden sich vier wilde Bullen gleichzeitig in einem fremden Stall, die sich belauerten und abschätzten, wann das Kräftemessen beginnen würde. Sie wusste aus den wenigen Erzählungen des Herrn, dass sich ältere Drachen untereinander nicht gut verstanden. Diese Exemplare zählten zweifelsohne zu den ganz alten. Sie schluckte, ihre Beine zitterten.
Vouivre lachte. »Anscheinend. Was die gute Ddraig mit ihren eindrucksvollen Flammen nicht garte, jagte Grendelson durch die Gänge.« Er hob die rechte Vorderklaue und deutete auf Iffnar. »Da Euch noch einige Haare aus dem Mund ragen, nehme ich an, dass auch Ihr auf Eure Kosten gekommen seid. Somit«, die Kralle schwenkte herum und zielte auf die Frau, »ist sie unsere einzige Quelle. Seid nett zu Xing.«
Jeder der vier Drachen machte einen Schritt auf sie zu, die durchdringenden, stechenden Augenpaare und der rote Karfunkel richteten sich auf sie. Die junge Chinesin meinte, die Blicke spüren zu können, wie kräftige Berührungen, ein steter und unangenehmer Druck am ganzen Leib.
Sie fühlte sich bedrängt und eingeschüchtert. Xing wusste sich nicht anders zu helfen und sank auf die Knie, hielt sich die Hände vors Gesicht. »Ich weiß nicht, wo der Herr ist«, schluchzte sie.
»Was sprach er zu dir, als er den Hort verließ?«, vernahm sie Vouivres samtene Stimme. »Gab er dir einen Hinweis darauf, wohin er fliegen wollte?«
»Nein«, weinte sie und wagte es nicht, zu den Geschöpfen aufzublicken. Vor allem den Grünen, der Grendelson genannt wurde, fürchtete sie; ihr Herz raste vor Todesangst. »Nein, er sagte mir nichts. Er sagt uns niemals, wohin er geht.«
»Ich wusste doch, dass sie zu nichts taugt.« Iffnar hatte sich zu Wort gemeldet. »Wenn Gorynytsch beschließt unterzutauchen, ist er für uns verloren. Dein Plan, Vouivre, war ein Fehlschlag.«
»Vielleicht hat ihn ja einer von euch gewarnt«, erwiderte der diamantene Drache mit falscher Freundlichkeit. »Wäre einer von euch so kurzsichtig, gemeinsame Sache mit dem Scheusal zu machen?«
»Schweigt!« Grendelsons Stimme sprach in ihrem Kopf, gleichzeitig öffnete er seine Kiefer und brüllte so ärgerlich, dass sich lose Steine aus der Decke lösten und auf den Boden fielen. »Wir haben Wichtigeres zu tun.«
Xing duckte sich noch mehr zusammen, das Dröhnen und Vibrieren der Drachenstimme drohte, sie in Ohnmacht zu stürzen. Sie meinte, dass der Stein unter ihr wankte, so laut lärmte Grendelson. Sie vernahm die Unterredung der Drachen und verstand dennoch nicht, worum es dabei ging.
»Xing, steh auf«, verlangte Grendelson von ihr, und sie konnte trotz ihrer Furcht nicht anders. Der Befehl besaß hypnotische Macht. Sie starrte in das Drachenantlitz, auf die violette Zunge, die hervorzüngelte. »Du wirst verstanden haben, was uns dazu gebracht hat, unsere Horte zu verlassen und den weiten Weg zu unternehmen.«
Er neigte das Haupt, bis die Schnauze nur eine Armlänge von ihrem Kopf entfernt war. Blut und lange braune Haare hafteten daran. »Wenn sich vier der mächtigsten Wesen der Welt, die sich abgrundtief hassen, zusammentun, um deinen Herrn Gorynytsch zu töten, kannst du dir ausmalen, dass es einen triftigen Grund gibt.«
Xing schauderte, es gelang ihr nicht, sich abzuwenden. »Ich … weiß nicht…«, stammelte sie.
»Die Erde benötigt eine Ordnung, Xing. Wir vier sind diese Ordnung der Alten Welt, wir leiten und führen die Menschen seit Anbeginn unserer Existenz ohne ihr Wissen, damit die Geschicke in geraden Bahnen verlaufen.«
»Was hat der Herr damit zu schaffen? Warum erzählt Ihr es mir?«, fragte sie mit brüchiger Stimme.
»Weil du für uns wichtig bist.«
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