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Die Mächte des Feuers

Die Mächte des Feuers

Titel: Die Mächte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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erklären.
    Sie mochte solche Vorträge nicht. Sie jagte die Biester, und es interessierte sie nicht sehr, woher sie kamen.
    Schlimm genug, dass sie da waren. Aber da es sich um eine Feierstunde handelte und am Ende auch ihrer Brüder gedacht werden sollte, war sie erschienen. Silena fröstelte und zog den Mantel enger um sich. Bei diesen Temperaturen war es gut, dass sie Leder anstelle von Stoff bevorzugte.
    »Lassen Sie mich anmerken: Manche Menschen, die sich Gelehrte nennen, vertreten die abstruse Ansicht, dass ältere Drachen mindestens so intelligent wie der homo sapiens sind. Ich rufe denen entgegen: Humbug!
    Nonsens!«, ereiferte sich Humboldt, und sein Atem war als weiße Wolke zu sehen. »Diesen draco sapiens gab es nie und wird es niemals geben. Der Drache ist eine gewaltige Fressmaschine, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Ein Haifisch unter uns Menschen, ein Schädling, den es zu bekämpfen gilt.«
    Jetzt klatschte die Menge begeistert Beifall und ließ die Drachentöter hochleben. Silena hätte darauf wetten können, und so kam es: Großmeister Loyo aus der Linie Ignatius erhob sich und winkte den Menschen zu, strahlte und verteilte mit einer Hand Küsse ins Publikum, bevor er sich setzte. Silena schüttelte sachte den Kopf.
    Loyo war einer von den Angebern, die sie nicht ausstehen konnte. Und dazu ein Weiberheld, der seinen Status und seinen Ruhm gern ausnutzte.
    »Wenn er nicht so unglaublich gut wäre, hätte er schon lange eine Stelle in der Verwaltung«, vernahm Silena eine leise Stimme und wusste, dass sie Großmeisterin Martha gehörte.
    »Ich fasse daher zusammen«, fuhr der Professor fort. »Auch der Drache durchlief zur Zeit der ersten Kreuzzüge eine weitere Entwicklung, eine neue Stufe der Evolution. Die alte Generation wird groß, vermehrt sich langsam, verbirgt sich vor den Menschen oder versucht, ein eigenes Territorium zu erobern. Diese Alten sind es, die immer wieder in den Mythen auftauchen: titanisch, gewaltig, überwältigend. Die neue Generation ist kleiner, sich schneller vermehrend, quasi eine Landplage, und drang seit dem Mittelalter tiefer in unseren Lebensraum vor. Ich möchte nicht verschweigen, dass es die eine oder andere stille Duldung eines Drachen gegeben haben könnte, es sei an die barbarischen Sitten der Opferung erinnert.« Er trank einen Schluck von seinem Tee, stützte eine Hand aufs Pult und zeigte auf die Drachentöterinnen und -töter hinter sich. »Wir verdanken es also unter anderem auch den Drachenheiligen und ihren Nachfahren, die unter der Leitung des Officium Draconis den Schutz der Bevölkerung übernahmen und bis heute übernehmen, dass wir nicht im Gewürm ersticken und die gefährlicheren Großen weitestgehend ausgerottet sind. Seien wir dankbar dafür, aber vergessen wir nicht, dass die Kirche mit diesen christlichen Helden die eigene Größe untermauern möchte, um die vielen heidnischen Helden aus unserem Gedächtnis zu verdrängen.«
    Vereinzelt drangen Buh-Rufe aus dem Publikum, und auch Silena fand es nicht schlau, einen solchen Ausflug zu unternehmen.
    Doch Humboldt blieb unbeeindruckt. »Man möchte es vielleicht in den Kathedralen des Glaubens nicht gern hö n, doch auch sie haben Dankbarkeit verdient. Das sage ich aus der Kathedrale des Wissens. Ansonsten gilt nach wie vor das Motto: Nur ein toter Drache ist ein guter Drache. Mir persönlich ist es gleich, von wem er getötet wird – doch diese exquisiten Menschen hinter mir gehören zur bedeutendsten Elite, die wir gegen die Bestien auffahren können!«
    Jetzt wurde wieder laut geklatscht, die Menschen sprangen von ihren Sitzen, riefen und jubelten.
    Natürlich stand Loyo als Erster auf, trat vor und hob beide Arme zu einem fürstlich anmutenden Gruß ans Volk, als sei er der König von Bayern.
    Humboldt gab das Mikrofon frei, schritt nach unten und setzte sich zu den Besuchern. Das Podium war nach wie vor nur den Drachentötern vorbehalten.
    Ferdinand Erzbischof Kattla, der ein schwarzes Gewand mit einem weißen Spitzenkragen trug, stand von seinem Platz auf und begab sich nach vorn. Er war ein unscheinbarer Mann in den Sechzigern; der silbergraue Bart stand ihm wie ein Teppich aus Stahlstiften im Gesicht, die dichten Brauen tauchten die Augen in Schatten. Auf dem Kopf mit den fingerlangen schwarzen Haaren saß ein großer, runder Hut. Er war das Officium, der Leiter der mächtigen Organisation.
    Sofort wurde es auf dem Odeonsplatz still.
    »Wir gedenken heute zweier Menschen, die ihr

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