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Die Mächte des Feuers

Die Mächte des Feuers

Titel: Die Mächte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Sie zu Ihren Spiritistenfreunden und springen Sie mit denen Hand in Hand aus dem Fenster, wenn Sie unbedingt ins Jenseits möchten. Aber ich bitte Sie, mich in Zukunft mit Ihrer Anwesenheit zu verschonen, vor allem, wenn ich beim Essen bin.«
    Alois stand mit einer Hand voll Kellnern plötzlich hinter dem Russen, und diese Kellner waren so breit gebaut, als hätten sie vorher jahrelang Kohlesäcke geschleppt anstatt Tabletts getragen. »Entschuldigen Sie, mein Herr, aber ich bitte Sie herzlich, mir umgehend zum Ausgang zu folgen«, verlangte der Mâitre halblaut.
    »Ich gehe freiwillig. Keiner der Fräcke wird mich anfassen«, befahl der Fürst herrisch, und Alois wagte keinen Widerspruch. Zadornov setzte die dunkle Brille auf, nahm seinen Zylinder und stülpte ihn auf die langen schwarzen Haare. »Großmeisterin, wir sehen uns wieder.«
    »Nein, Fürst, das werden wir sicherlich nicht.«
    Er grinste. »Ich werde Ihnen eine Gelegenheit verschaffen, in der Sie nicht mehr anders können, als mich umzubringen.« Seine Rechte schob den Mantel zur Seite, und sie erkannte einen Pistolengriff. »Ich habe es auf die eine Weise probiert, nun ist es an der Zeit, eine andere zu versuchen.«
    Silena nahm das Zerteilen des Mahls wieder auf und sah ihn absichtlich nicht an. Sie fürchtete, dass die blauen Augen sie einfingen, verstummen ließen und sie ihres eigenen freien Willens beraubten. »Begegnen wir uns noch einmal, lasse ich Sie einsperren. Alois kann bezeugen, dass Sie mich bedroht haben.«
    Zadornov drehte sich theatralisch um, der weit schwingende Mantel flog, und der pelzbesetzte Saum pendelte.
    »Wir sehen uns wieder, Großmeisterin«, rief er, als er den Ausgang erreicht hatte, und verließ schnell das Restaurant, um ihr keine Gelegenheit zu einem Widerspruch zu geben.
    Silena aß weiter, und dabei betrachtete sie die Bilder der gezeichneten Drachen. Jetzt gab es noch mehr Rätsel für sie, und dabei hatte sie mit den bisherigen schon genügend zu tun. Sie war sich nicht recht schlüssig darüber, was sie mit dem Erlebten anfangen sollte: es für sich behalten? Oder doch lieber Nachforschungen über den verwirrten Fürsten anstellen? Er trug eine Waffe bei sich, was ihn zusammen mit seiner Verwirrtheit und seinem Anliegen nicht eben ungefährlich machte.
    Als das Saute vom Rinderfilet mit Morcheln á la creme und Kartoffelgestampf serviert wurde, hatte sie die Zeichnungen eingesteckt. Sie würde die Skizzen an das Officium übergeben. Der Fürst hatte ihrer Einschätzung nach nichts mit ihren Rätseln zu schaffen, und Silena beabsichtigte nicht, sich ein weiteres freiwillig aufzubürden.

16. Januar 1925, München, Königreich Bayern, Deutsches Kaiserreich
     
    Nach einer unruhigen Nacht in dem wunderbaren Bett des Palais ließ sich Silena von Sepp als Erstes zum Officium fahren, damit sie die Zeichnungen abgeben konnte. Sie hoffte, dass sie damit auch die Bilder in ihrem Kopf los würde, die sie seit der Begegnung mit Zadornov in sich trug, und glaubte doch nicht eine Sekunde daran, dass ihre Träume mit Spiritismus zusammenhingen. Vermutlich ging es mit den aufwühlenden Ereignissen der letzten Tage einher, dass sie wirres Zeug im Schlaf erlebte. Sogar die Gesichter ihrer toten Brüder verfolgten sie des Nachts.
    Nachdem sie schreiend aus dem Bett gefahren war, hatte sie im Affekt die Zeichnungen verbrennen wollen – aber sich dann doch dagegen entschieden. Aus einem ganz einfachen Grund: Ein schwarzer fünfköpfiger Drache war ihr noch niemals begegnet, und ein Lindwurm von diesen Ausmaßen hatte sie bislang nur in Lehrbüchern gesehen. Die Draconis-Experten des Officiums sollten sich darum kümmern; schlechtestenfalls freuten sie sich über ein paar nette Zeichnungen, die sie zu den Akten nehmen konnten.
    Sie schritt durch das schwarz gefärbte Tor in die Eingangshalle, in der das Gotische des ursprünglichen Gebäudes voll zum Tragen kam und durch nachträglich eingezogene Stahlrundbögen und matt schimmernde Eisenarkaden verstärkt wurde.
    Silena verlangsamte ihre Schritte.
    Das steinerne Standbild in der Mitte der Halle nahm sie gefangen. Sie war immer wieder darüber erstaunt, wie genau die Bildhauer des Mittelalters gearbeitet hatten: Ein Gargoyle, eine Kreuzung aus Mensch und einem Albtraumwesen von mehr als zwei Metern Größe und ausgebreiteten Schwingen, hielt das auseinander gebrochene Skelett eines kleinen Drachen zwischen den Fingern; das Maul des Gargoyle war in einem Triumphschrei weit geöffnet,

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