Die Mächte des Feuers
schätzte.
Sein hoch gewachsener Körper steckte in einem dunkelgrünen Gehrock, darüber trug er einen weit schwingenden braunen Militärmantel mit dickem, schwarzem Zobelkragen; auf den offenen, langen schwarzen Haaren saß ein hoher Zylinder, die Augen verbargen sich hinter einer dunkelrot getönten Brille. Die Finger in den weißen Handschuhen lagen auf dem schweren Silbergriff eines Gehstocks. »Sie sind es«, raunte er und erbleichte. »Sie sind es tatsächlich!«
Silena legte aus einem Gefühl heraus die Hand an den Griff der langläufigen Pistole. »Hätten Sie die Güte, sich vorzustellen, mein Herr?«, verlangte sie barsch.
»Verzeihen Sie mir meine Unhöflichkeit.« Er verneigte sich und schaute über den Rand seiner Brille, dabei wurden unglaublich strahlend blaue Augen sichtbar. »Ich bin Knjaz Grigorij Wadim Basilius Zadornov. Nach einem langen Weg aus Berlin quer durch das verschneite Kaiserreich ist es mir endlich gelungen, Sie zu finden.«
Betont langsam zog er seinen Zylinder ab und setzte sich ihr gegenüber. Er lächelte freundlich und wirkte sehr erleichtert, die Wangen bekamen eine gesunde Farbe zurück. »Mein Glück könnte nicht größer sein.«
»Auch wenn Sie mich von irgendwoher zu kennen glauben, kann ich das nicht von Ihnen behaupten.« Silena entspannte sich noch nicht, die Hand blieb an der Pistole. »Da Sie mich aber gefunden haben: Was wollen Sie von mir?«
Zadornov strahlte sie an. »Sie müssen mich umbringen, Drachentöterin!«
IV.
»Die Linie Georg
Ausgehend vom Drachentöter Georg, haben sich die Nachfahren dem Nahkampf verschrieben und sich als einzige Linie im Luf t kampf gegen die Drachen bewährt. Herausragende Pilotin und auf dem besten Wege, eine Legende zu werden, ist die junge Großmeisterin Silena, die nach dem Tod ihrer Eltern die größte Hoffnung des Officiums und der Staffel Saint George ist.«
aus der Serie ›Drachentöterinnen und Drachentöt er im Verlauf der Jahrhunderte‹
Im ›Münchner Tagesherold‹, Königlich-Bayerisches Hofblatt vom 1. Juni 1924
15. Januar 1925, München, Königreich Bayern, Deutsches Kaiserreich
Silena forderte ihr Gegenüber mit einer Geste auf, die getönte Brille abzunehmen, damit sie in den Augen erkennen konnte, ob der Mann wahnsinnig geworden war oder sich einen Scherz mit ihr erlaubte. Weder erkannte sie das eine noch das andere. »Herr Zadornov…«
Er hob die Hand. »Knjaz, was so viel wie Fürst bedeutet, ist die korrekte Anrede, Drachentöterin.«
»Und Großmeisterin ist meine korrekte Anrede, Fürst«, erwiderte sie auf der Stelle. »Können Sie sich erklären?«
Er wandte sich zum Mâitre, der mit besorgtem Gesicht heraneilte. »Bring mir eine Flasche Champagner. Die beste, die in diesem Keller lagert.«
»Belästigt Sie dieser Gast, Großmeisterin?«, erkundigte Alois sich besorgt, nicht zuletzt, weil sich noch immer die Hand um die Luger schloss. »Ich lasse ihn gern hinausbegleiten.«
»Nein, Alois. Es ist gut, ich möchte hören, was der Fürst mit mir zu besprechen hat. Sein Anliegen ist … bizarr.«
Zadornov warf dem Mâitre einen verdrossenen Blick zu. »Mein Champagner, wo ist er?«
Alois lächelte unverbindlich. »Sicher, mein Herr. Können Sie ihn auch bezahlen?«
Wortlos zückte der Fürst sein prall gefülltes Portemonnaie aus der Innentasche des Gehrocks und zählte dreihundert Mark auf den Tisch. »Bekomme ich etwas dafür?«
»Sicher, mein Herr.« Alois schritt davon, während sich Zadornov wieder Silena zuwandte.
»Geldmangel kann es nicht sein, der Sie in den Wunsch treibt zu sterben«, stellte sie nüchtern fest. »Wieso reisen Sie quer durchs Kaiserreich? Wieso werfen Sie sich nicht vor die Straßenbahn oder vor einen Zug? Ein Mann Ihres Standes hat sicherlich immer eine Waffe dabei.«
»Die habe ich durchaus, Großmeisterin«, setzte er mit einem Grinsen nach. »Bislang wollte ich auch leben und mich gegen meine Feinde verteidigen.«
»Was ist geschehen, dass Sie die Meinung geändert haben?«
Zadornov lehnte sich so langsam nach vorn, dass Silena zuerst dachte, er werde ohnmächtig und kippe um.
»Eine Vision, Großmeisterin.«
Sie stöhnte auf. »Um Himmels willen! Sie sind Spiritist?«
»Nein. Ich bin Hellseher, Großmeisterin«, antwortete er beleidigt. »Ich habe mit den Betrügern und Taschenspielern, welche die Salons bevölkern, nichts zu schaffen. Meine Kunst und Gabe ist Fluch und Segen gleichermaßen.« Er bekam den edlen Tropfen in einem
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