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Die Mächte des Feuers

Die Mächte des Feuers

Titel: Die Mächte des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Kühler gebracht, ein Kellner öffnete die Flasche, ohne den Korken knallen zu lassen, und goss ein. Zadornov leerte das Glas in einem Zug, stellte es weg, nahm das Rotweinglas und hielt es auffordernd hin; es wurde gefüllt.
    »Lassen Sie mich raten: In einer Vision haben Sie mich gesehen und sind seitdem der Überzeugung, dass ich Sie ermorden soll?«
    Dieses Mal sog er den Champagner laut ein, verscheuchte den Kellner. »So in etwa, Großmeisterin. Aber es ist diffiziler.«
    »Nein, ist es nicht.« Silena nahm die Finger vom Lugergriff und zeigte auf die Flasche. »Sie haben sich betrunken, danach vermutlich Drogen zu sich genommen, höchstwahrscheinlich die gleichen, die momentan durch Ihre Adern rauschen. Ihre Pupillen sind kleiner als der Kopf einer Stecknadel, und ich wage nicht zu raten, was Sie genommen haben. In diesem Zustand überkam Sie eine fixe Idee, und jetzt sitzen Sie vor mir.«
    »Alles falsch«, kommentierte er, nippte wieder. »Bis auf die Drogen.«
    »Fürst, mein Essen wird gleich serviert, und ich habe nicht vor, es kalt werden zu lassen, weil ein russischer Trunkenbold mich…«
    »Hören Sie mir zu, Großmeisterin.« Seine blauen Augen schienen von Licht durchflutet zu werden, bannten sie und brachten sie vor lauter Verwunderung zum Verstummen. »Ich hatte eine Vision, die mich überraschend traf und mir sehr, sehr große Furcht einflößte. Nicht um mich. Sondern um das Schicksal der Menschheit.«
    Silena wollte ihn auslachen – aber sie konnte nicht. Sie starrte in das magnetisierende Blau und vernahm die tiefe Stimme, die alle sonstigen Geräusche in dem Speisesaal verdrängte. Und bettelte stumm darum, mehr von ihr zu hören.
    »Ich sah einen vierbeinigen Lindwurm, ein gewaltiges Wesen mit fünf Köpfen, das nachts aus seiner Höhle gekrochen kam und sich von Westen in eine verlassene Stadt begab. Dann erkannte ich einen Flugdrachen, einen schwarzen mit fünf Köpfen und gelben Augen, der auf einem Berg von Menschenleichen hockte und einen nach dem anderen verzehrte. Er schnaubte, hob die Nüstern in die Luft und schwang sich in die Lüfte. Und er flog aus dem Norden zu der Stadt, in welcher der Lindwurm wartete.« Zadornov wandte den Blick nicht von Silena ab.
    »Eine Wand aus Nebel rollte aus Osten heran, und darin erblickte ich die Umrisse eines Ungeheuers mit langen Hörnern und kleinen Flügeln, mehr Schlange als Drache, die sich wie eine lange Fahne im Wind wand und tanzte.« Er beugte sich nach vorn, näherte sich ihrem Gesicht, sodass sich ihre Nasen beinahe berührten.
    Silena bewegte sich nicht, starrte in das blaue Leuchten, Augen wie riesige Rundfenster oder zu Scheiben geformte Ozeane, in die man eintauchen wollte.
    »Im Süden, Großmeisterin, sah ich Sie. Sie erschienen in der funkelnden Rüstung eines Ritters, eine lange Lanze haltend und wie eine Kriegerin auf einem schwarzen Pferd sitzend«, raunte er und senkte seine Stimme weiter. »Drache, Lindwurm, das Nebelungeheuer und Sie trafen sich mitten in der Stadt, auf einem freien Platz, wo sich ein kahler Berg in den Himmel stemmte, und alle vier stürmten zum breiten Gipfel hinauf.
    Dort schwebte in vier Metern Höhe die Erde in der Luft, eine wunderschöne kürbisgroße blaue Kugel mit den Kontinenten, wie Gott sie vom Himmel aus sehen darf.« Zadornov hielt inne. »Dann erschien ich. Ich streckte die Hand nach der Erde aus, und sie senkte sich zu mir herab. Kaum berührte ich sie, schrumpfte sie und veränderte ihre Farbe in strahlendes Gelb. Da stürmten die Drachen und Sie auf mich zu. Buntes Feuer hüllte mich ein, ich hörte die Drachen brüllen und Sie schreien, Großmeisterin. Jeder wollte, dass ich ihm die Erde aushändige, während sie auf mich losgingen wie Berserker.« Er schluckte. »Zähne, leuchtende Augen, das Feuer und die Hitze, die geschliffene Lanzenklinge, die auf meinen Kopf zielte – ich bekam es mit der Angst zu tun. Die Erde wog schwer und schwerer in meinen Armen, bis ich sie nicht mehr halten konnte. Sie entglitt mir und fiel auf den Boden, Großmeisterin! Sie zerschellte wie eine überreife Frucht, das Wasser der Ozeane ergoss sich auf den Felsgipfel, die Kontinente zerfielen und wurden davon geschwemmt. Ich hörte die Menschen schreien! Ein kollektives Kreischen aus Millionen Mündern marterte meinen Verstand, und das Wasser wandelte sich in Blut.« Langsam lehnte er sich in seinen Stuhl zurück. »Deswegen will ich sterben. Ich will nicht für das Ende der Welt verantwortlich sein.«

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