Die Mädchen (German Edition)
unmöglich morgen einfach
wieder zur Tagesordnung übergehen und ihre Termine wahrnehmen. Wie sollten sie
und Judith überhaupt durch die nächsten Tage und Wochen kommen? Gott, was hätte
sie eine Stütze gebrauchen können. Sicher, Zoe war eine große Hilfe, aber sie
hatte auch einen Job, den sie nicht vernachlässigen konnte. Und so sehr sie Zoe
als Freundin liebte, so genau kannte sie sie auch und wusste, dass Empathie
nicht ihre größte Stärke war, zumal ihr so etwas wie mütterlicher Instinkt
komplett abging.
Sie wettete, dass Marius das alles
viel leichter wegsteckte. Nein, jetzt war sie ungerecht. Wenn sie ihn auch
nicht mehr riechen konnte, wusste sie, dass er seine Töchter liebte und
mindestens genauso litt wie sie. Aber er würde den Verlust nicht jeden Tag
spüren, weil er nicht wie sie ständig damit konfrontiert sein würde, denn
schließlich hatte Sina nicht bei ihm gelebt. Und er hatte noch einen
entscheidenden Vorteil. Er musste das alles nicht allein durchleiden, er hatte
Janine, die ihm eine echte Krücke sein konnte. So sehr sie es hasste, sich das
einzugestehen, aber die beiden schienen wirklich glücklich miteinander zu sein.
Janine würde ihm schon durch die schwere Zeit helfen, kein Zweifel.
Und wer half ihr? Es war so
ungerecht. Warum war es ihr nicht vergönnt, einen Mann an ihrer Seite zu haben?
Na, die Antwort darauf war leicht, sie war ja selbst schuld, dass sie allein
war. Was war denn das Bild, das sie nach außen hin verkörperte? Sie war die
Powerfrau, die ihren Mann stand, die es unbedingt allen zeigen wollte, die
keinen Mann an ihrer Seite brauchte. Bei diesem Image, das sie sich selbst
verpasst hatte, durfte sie sich nicht wundern, wenn kein Mann bei ihr richtig
anbiss. Sie hatte sich immer eingeredet, so lange sie ausreichend Sex bekam,
war alles in Ordnung, aber das hatte sich längst als Trugschluss
herausgestellt. Mittlerweile war ihr klar geworden, dass der geilste Sex keine
Beziehung ersetzen konnte, die auf Vertrauen aufgebaut war und in der man
einfach mal in den Arm genommen wurde, ganz ohne Hintergedanken. Wie sehr sie
sich allerdings nach einer starken Schulter sehnte, an die sie sich anlehnen
konnte, das fiel ihr erst jetzt auf.
Was hatte sie stattdessen? Einen
verheirateten Mann, mit dem sie sich ab und an in einem Hotelzimmer vergnügte.
Zugegeben, es war immer toll, sie hatte gar nicht gewusst, dass man auch
mehrere Orgasmen hintereinander haben konnte, aber es war auch klar, dass von
seiner Seite nicht mehr dahinter steckte als das spontane Vergnügen. Den
brauchte sie gar nicht erst anzurufen, um ihn um Beistand zu bitten. Die
Fronten waren klar abgesteckt, sie wusste, dass er keine Komplikationen wollte
und sofort alle Brücken abbrechen würde, sobald sie ihm zu nahe kam.
Ein anderer würde nur zu gern diese
Stelle einnehmen, aber sie musste sich allein bei dem Gedanken schütteln, dass
er ihr noch mal zu nahe kam. Den Fehler hatte sie einmal begangen und sie würde
ihn sicher kein zweites Mal tun. Es war vor etwa drei Monaten, als ihr Chef in
ihr Büro kam, nachdem sie ihm in einem Memo mitgeteilt hatte, den bislang
größten Kunden für sie gewonnen zu haben. Die Verhandlungen hatten sich über
Monate hingezogen, bis es überhaupt zu einem Treffen zwischen ihr und dem
Geschäftsführer von Meditech & Co. gekommen war, und sie hatte innerlich
schon aufgegeben, weil jedes Zugeständnis, das sie gemacht hatte, eine neue Bedingung
nach sich gezogen hatte. Doch dann reichten zehn Minuten unter vier Augen und
der Vertrag war unterschrieben. Sie würden das komplette Marketing für alle
medizinischen Produkte übernehmen, die Meditech vertrieb, und es war ihr sogar
gelungen, einige ursprüngliche Forderungen ihres Unternehmens wieder zu
verankern.
Alles in allem war es kein Wunder,
dass Karsten überglücklich war. Er war auf sie zugestürmt und hatte sie in der
Luft herumgewirbelt. Anschließend hatte er sie zur Feier des Tages ganz feudal
zum Essen ausgeführt. Im Nachhinein konnte sie gar nicht mehr sagen, wie genau
es dazu gekommen war, aber sie hatte irgendwie eine Euphorie gespürt, die sie
mit niemand anderem hätte teilen können. Mit wem auch? Ihre Kinder verstanden
nichts von ihrem Geschäft und würden das Wochenende eh bei Marius verbringen.
Seine Freude war so ansteckend, dass sie sich einfach hatte mitreißen lassen.
Und warum auch nicht? Hatte sie nicht nach dieser anstrengenden Zeit auch mal
ein wenig Spaß verdient? Immerhin war Karsten ein
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