Die Mädchen (German Edition)
Rouven sich am liebsten in Luft aufgelöst. Er hatte
seinen Augen nicht trauen wollen, als er zu seiner Mutter ins Wohnzimmer gekommen
war. Da saßen tatsächlich die beiden Schnüffler, die schon in seiner Klasse gewesen
waren, bei ihr und wollten mit ihm sprechen. Warum nur? Wie waren sie auf ihn
gekommen? Er hatte sich doch völlig unverdächtig verhalten. Sie konnten
eigentlich gar nichts bemerkt haben. Scheiße! Wie sollte er sich da herauswinden?
Und als ob es nicht schon schlimm
genug war, dass die von der Kripo bei ihnen zu Hause auftauchten, wollten jetzt
auch noch beide Eltern bei der Befragung dabei sein. Prima! Das war echt zuviel
für ihn. Wie sollte er das durchstehen? Wie in Trance ließ er sich von seinem
Vater zum Sofa führen. Dass sein Vater sich mit den Beamten bekannt machte, bekam
er schon gar nicht mit.
„Merles Vater und ich kennen uns
noch aus unserer Schulzeit“, hörte er ihn sagen, nachdem sie alle Platz
genommen hatten und er langsam seine Umwelt wieder wahrnahm.
Seine Eltern hatten ihn in ihre
Mitte genommen, sein Vater hatte den Arm um seine Schultern gelegt, seine
Mutter ihre Hand in seine geschoben. Alles sicherlich in guter Absicht, aber
ihm war, als nahmen sie ihm damit die Luft zum Atmen. Ihm wurde innerlich heiß
und er betete, dass alles ganz schnell vorüber ging.
„Ich hoffe wirklich inständig, dass
Merle wieder wohlbehalten auftaucht.“ Sein Vater war die Ruhe selbst. Gerade
Haltung, feste Stimme. Lag vielleicht an seinem Job. Er war Verhandlungen mit
gewieften Geschäftspartnern gewohnt, da hatte er sicher keine Mühe, ein
Pokerface aufzusetzen, wann immer er es brauchte.
„Das hoffen wir auch“, sagte der
Mann, aber Rouven konnte an seinem Tonfall hören, dass er nicht daran glaubte.
Er spürte den Blick des Beamten auf sich ruhen und hatte das Gefühl, als ob er
in sein Innerstes sehen konnte. Er hielt den Atem an.
„Wie lange kennst du Merle schon?“
Na, das war einfach. Er atmete
leise aus. „Seit dem Kindergarten oder noch länger.“
„Unsere Familien sind lange
befreundet. Die beiden kennen sich praktisch seit der Geburt.“
Der Mann ließ sich nicht anmerken,
ob ihm die Einmischung seines Vaters gefiel und nickte ihm nur zu. Dann wandte
er sich wieder an ihn.
„Aber ihr geht erst seit kurzem in
die gleiche Klasse.“
„Ja. Ich wiederhole die achte
Klasse. Merle ist etwas jünger als ich.“
„Und versteht ihr euch gut?“
Sein Gehirn arbeitete schnell. Was
hatte er im Internet gelesen, wie man sich bei Verhören durch die Polizei
verhalten sollte? Immer nur direkt auf die Frage antworten. Bloß keine zusätzlichen
Informationen geben, nach denen gar nicht gefragt worden war. Und wenn eine
direkte Antwort nicht möglich war, irgendwie ausweichen. Das wollte er
versuchen. Er gab sich betont gleichgültig und zuckte mit den Achseln.
„Wir haben nicht viel miteinander
zu tun.“
„Warum nicht? Es war doch sicher
schön, ein bekanntes Gesicht in der neuen Klasse zu sehen.“
Was sollte er darauf sagen? Dass
sie ihn vor allen lächerlich gemacht hatte, als er es gewagt hatte, sie anzusprechen?
Diese Demütigung wollte er nicht noch einmal durchleben. Außerdem ging das ja
wohl auch niemanden etwas an. Ausweichen.
„Sie ist ein Mädchen.“
Das war doch wohl Erklärung genug.
„Ich verstehe“, mischte sich die
Frau ein. „Ich weiß noch, dass wir in deinem Alter auch lieber unter uns geblieben
sind. Man hat ja doch unterschiedliche Interessen.“
Er atmete leicht auf. Das lief doch
besser als befürchtet. So schlimm waren die beiden gar nicht. Vor allem die
Frau schien doch sehr nett zu sein.
„Hast du Merle gestern gesehen?“
Er blinzelte verwirrt. „Sie meinen
in der Schule?“
„Oder danach...“
„Sie war ganz normal in der Schule.
Und danach ist sie mit ihrem Fahrrad nach Hause gefahren. Das nehme ich
jedenfalls an.“
„War sie irgendwie anders als
sonst?“
Er überlegte kurz und schüttelte
dann den Kopf. „Weiß nicht. Hab nicht darauf geachtet.“
„Weil sie für dich nicht wichtig
war.“
Als ob. „Genau.“
„Die Lehrerin hat uns erzählt, dass
Merle sich ziemlich aufreizend angezogen hat.“
„Das stimmt. Sie hatte ziemlichen
Ärger deswegen in der Schule.“ Mist, jetzt hatte er die Regel vergessen, keine
Information zu geben, die über die gestellte Frage hinausging.
„Mit allen Lehrern?“
War klar, dass der Typ sich jetzt
darauf stürzte. Er runzelte die Stirn und dachte nach.
„Eigentlich
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