Die Mädchen (German Edition)
dann
hätte Sina zum Training gehen müssen. Sie hätte es dann nicht als Ausrede für
andere Dinge benutzen können. Verfluchte Scheiße! Sie hätte das alles verhindern
können, wenn sie nur einmal nicht so verdammt selbstsüchtig gewesen wäre.
Sie war eine schlechte Mutter.
Keine Frage! Es war ja nicht nur, dass sie sich nicht ausreichend um ihre
Kinder gekümmert hatte. Sie konnte nicht einmal um ihre Tochter trauern, ohne
sich alle möglichen Folgen auszumalen. Als sie von dem Geld in Sinas Zimmer
erfahren hatte, war natürlich der erste Gedanke, der sich ihr förmlich
aufgedrängt hatte, dass Sina anschaffen gegangen war, doch das hatte Funke
sofort ausschließen können. Eigenartigerweise beruhigte sie das irgendwie, als
ob es den Mord an ihrer Tochter weniger schlimm aussehen ließ, weil ihr Ruf dadurch
nicht beschädigt wurde. Krank!
Sie wusste es selbst, aber sie
konnte sich einfach nicht helfen, hatte sie doch gleichzeitig die Konsequenzen
vor Augen, die Sinas Tod für ihren Job nach sich ziehen konnten. Wer wollte Geschäfte
mit einer Frau machen, deren Tochter ermordet worden war, weil sie auf den Babystrich
ging? Sie hasste sich dafür, aber sie hatte eben Erfahrung in einem Business,
in dem Image alles war und Vertrauen schaffte und eine ungeschickte Äußerung
bedeuten konnte, dass man auf dem Schleudersitz saß. Gerade als Frau musste sie
viel härter kämpfen als ihre männlichen Mitbewerber, Fehler wurden ihr doppelt
angelastet. Sie hatte zwei Kollegen, die sofort ihren Platz einnehmen und auch
nicht davor zurückschrecken würden, etwas so Schreckliches wie Sinas Ermordung
für ihre Zwecke zu benutzen. Sie würden sich regelrecht darauf stürzen und sich
im Dreck suhlen, aber die einzige, die dreckig werden würde, war sie.
Almut zwang sich, diese Gedanken
weg zu schieben, was sie weit mehr anstrengte, als ihr lieb war, und wandte
sich an Zoe. „Was wollten sie von dir?“
„Nichts Besonderes. Er hat halt so
ganz allgemein gefragt.“
Almut merkte, dass sie ihr auswich,
aber sie hatte keine Kraft, weiter nachzubohren. Ihre Tochter war tot, ihre
Position in der Firma vielleicht in Gefahr und sie hatte außerdem noch einen
kranken Typen, der sie einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Sie hatte also weiß
Gott andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen, was Zoe eventuell
ausgeplaudert haben könnte.
„Soll ich uns einen Tee machen?“
fragte ihre Freundin, zweifellos bemüht, weiter von sich und dem jungen
Polizisten abzulenken.
Almut erhob sich. „Lieb von dir,
aber ich würde jetzt gern ein wenig allein sein.“
„Ich kann dir auch eine Tasse
raufbringen.“
„Nein, lass nur.“
Sie meinte es ja gut, aber manchmal
konnte einem ihre Fürsorge auch auf den Geist gehen. Sie ging die Treppe hoch,
ihr Telefon in der Hosentasche versteckt. Im Schlafzimmer ließ sie sich aufs
Bett sinken. Sie merkte, wie ihre Hände zitterten. Nein, nicht nur die Hände.
Sie zitterte am ganzen Körper. Die Anspannung, unter der sie während der
Befragung durch Funke gestanden hatte, löste sich langsam. Tränen strömten über
ihre Wangen. Die Realität schlug ihr wie ein Vorschlaghammer ins Gesicht. Ihre
Tochter war tot, unwiederbringlich. Sie würde niemals mehr ihr Haar kämmen, ihr
niemals mehr eine heiße Milch mit Honig ans Bett bringen, wenn sie erkältet
war. Sie würde niemals mehr die Freude in ihrem Gesicht sehen, wenn sie ein
Weihnachtsgeschenk auspackte.
Oh Gott, sie konnte ja doch
trauern. Auf eine Art erleichtert, dass sie nicht das Monster war, für das sie
sich selbst schon gehalten hatte, ließ sie ihren Tränen freien Lauf und
schluchzte hemmungslos. Wie hatte das nur passieren können? Wer hatte ihrer
Tochter das nur angetan? Hatte sie dem Falschen vertraut? War sie vielleicht
schon mit ihrem Mörder verabredet gewesen und war nichts ahnend in ihr
Verderben gerannt? Die Polizei glaubte nicht an ein Sexualverbrechen, aber wie
konnten sie da sicher sein? Vielleicht war der Täter gestört worden oder Sina
hatte sich zu stark gewehrt, dass ihm nichts anderes übrig geblieben war, als
sie zum Schweigen zu bringen. Die Alternative, nämlich dass es einen anderen
Grund für den Mord gab, war furchtbar und sie verbot sich, daran auch nur einen
Gedanken zu verschwenden. Es konnte unmöglich jemand gewesen sein, der sie gut
kannte. Nein, die Polizei war da bestimmt auf der falschen Fährte.
Sie schnaubte sich die Nase. Wie
sollte es jetzt nur weitergehen? Sie konnte doch
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