Die Mädchen (German Edition)
Kamillentee
aufzusetzen, bestimmt schon der zehnte an diesem Tag, dass ihre Blase das
mitmachte, grenzte an ein Wunder, als es an der Tür klingelte. Neugierig
verließ sie die Küche und ging zur Haustür.
„Überraschung“, hörte sie Maggie Funke rufen, die einen riesigen Topf im
Arm hatte. „Lässt du mich rein?“
„Sicher.“ Johanna ließ sie an ihr vorbeigehen, schloss die Tür und folgte
ihr in die Küche.
„Ich dachte mir, vielleicht hast du Lust, mit mir ein bisschen Hühnersuppe
zu essen?“
Maggie hatte den Topf schon auf den Herd gestellt.
„Na klar. Warum nicht?“
Maggie, eigentlich Margaret, war Holger Funkes Frau. Obwohl ihre beiden
Männer schon ewig miteinander arbeiteten, hatten sie sich erst vor etwa zwei
Jahren kennen gelernt. Nach anfänglicher Reserviertheit, die darauf begründet
war, dass beide von der jeweils anderen ein durch Erzählungen geprägtes Bild
hatten, das mit der Realität nichts zu tun hatte, hatten sie sich allmählich
angenähert und mittlerweile waren sie richtig gut befreundet. Maggie hatte ihr
wertvolle Ratschläge gegeben, als es in ihrer Ehe gekriselt hatte, und das
würde sie ihr nie vergessen.
„Dann werde ich mich mal meiner Jacke entledigen“, sagte Maggie und ging
in die Diele.
Johanna hob den Deckel und sah in den Topf. Hühnerstücke, Möhren, Lauch
und Reis. Lecker.
„Magst du Hühnersuppe überhaupt?“
„Wer mag das nicht?“
Maggies Blick fiel auf den Wasserkocher. „Wolltest du gerade einen Tee
machen?“
„Willst du auch?“
„Wenn du einen Schwarzen Tee da hast, gern.“
Johanna öffnete die Tür des Hängeschranks und nahm eine Packung
Ostfriesenmischung heraus. „Kein Problem.“
„Super. Weißt du, ich dachte mir, da unsere Männer heute mit Sicherheit
spät nach Hause kommen, könntest du ein wenig Gesellschaft gebrauchen.“
Das war nicht ihre schlechteste Idee. Es stimmte, wann immer es einen
Mordfall gab, war Roman grundsätzlich spät zu Hause. Manchmal erst mitten in
der Nacht. Besonders die ersten Tage hatten sie immer viel zu tun, weil sie
natürlich den Fall so schnell wie möglich aufklären wollten und je frischer die
Spuren waren, umso wahrscheinlicher war eine rasche Aufklärung. Dies war der
erste Tag in einem Fall und sie brauchte nicht damit zu rechnen, dass Roman vor
zehn Uhr abends zurück war.
„Setz dich doch.“
„Nein, lass nur. Arbeitsteilung. Du den Tee und ich die Suppe.“
„Okay.“
Das Wasser war fertig. Johanna nahm zwei Becher, packte in jeden einen
Beutel, Kamille für sich und Ostfriesen für Maggie, und kippte anschließend das
kochende Wasser darüber. Dann setzte sie sich. Sie beobachtete Maggie, die
etwas gedankenverloren in der Suppe herumrührte. Sie wirkte müde. Ihre blonden,
schulterlangen Haare hatte sie scheinbar in Eile zu einem etwas unordentlichen
Zopf gebunden. Um ihre Augen waren die kleinen Fältchen deutlicher zu sehen als
sonst und ihr Gesicht schien irgendwie blasser zu sein. Sie bedrückte etwas und
Johanna vermutete ganz stark, dass sie es zu Hause nicht ausgehalten hatte und
deshalb bei ihr aufgetaucht war. Wie auch immer, für sie bedeutete es eine
angenehme Abwechslung.
„Was machen deine Kinder?“
Maggie zuckte mit den Achseln. „Helen schläft heute bei einer Freundin und
geht dann von da aus morgen zur Schule. Kevin ist zum Training und Vicky ist
froh, denke ich, wenn ich mal nicht um sie herum bin.“ Sie rollte mit den Augen.
„Wie geht es ihr denn so?“
„Wenn ich das mal wüsste.“ Maggie seufzte. „Mir erzählt sie ja nichts.“
Hatte sie da etwa schon das richtige Thema am Wickel? „Geht sie noch zur
Therapie?“
„Ja, seit Anfang des Monats allerdings nur noch einmal die Woche.“
„Hast du mal mit dem Therapeuten gesprochen?“
„Ja, aber er hat sich
äußerst bedeckt gehalten. Wenn du denkst, dass du als Elternteil einer minderjährigen
Tochter das Recht hast, zu erfahren, was in solchen Sitzungen zur Sprache
kommt, bist du schief gewickelt.“
So hatte sie das nicht
gemeint. „Hat er dir nicht vielleicht einen Rat geben können, wie du dich
verhalten sollst?“
„Doch. Er meint, ich
soll Geduld haben und darf keine Wunder erwarten. Irgendwann wird sich alles
wieder normalisieren. Vicky hat schließlich ein traumatisches Erlebnis hinter
sich, das sicher nicht so schnell zu den Akten gelegt werden kann.“
Klang vernünftig, half
Maggie aber sicher nicht besonders. „Was meint Holger denn dazu?“
„So ziemlich
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