Die Mädchen (German Edition)
sieben
Treppen nach oben, öffnete die Tür, betrat die Wohnung und lehnte sich anschließend
von innen gegen die Tür. Das war geschafft. Er ging in die Küche und kramte in
der Schublade unter der Arbeitsplatte, die er so gut wie nie benutzte, nach den
Tabletten. Er hatte doch bestimmt noch ein Päckchen da. Ach, da waren sie. Er
öffnete die Packung und fand darin drei Streifen mit jeweils zehn Stück. Er
drückte zwei heraus, warf sie ein und hielt anschließend den Kopf an den Wasserhahn
über dem Ausguss, um nachzuspülen. Die übrigen Tabletten stopfte er in die
Hosentasche. Er ging in seinen Wohn- und Schlafbereich, ließ langsam seine
Augen über das Zimmer schweifen und blies die Luft durch seine Lippen. Na,
aufräumen sollte er vielleicht auch mal wieder.
Als sein Blick auf das Notebook
fiel, das auf dem kleinen Holztisch lag, den er sich vom Sperrmüll besorgt
hatte, befiel ihn eine leichte Panik. Was war, wenn die Polizei doch hier
auftauchte und womöglich einen Durchsuchungsbefehl dabei hatte? Die Antwort
darauf war leicht, er war geliefert. Also mussten das Notebook und alle
USB-Sticks verschwinden und das so schnell wie möglich. Nur wohin? In den Müll?
Unklug. Vielleicht brauchte er das alles irgendwann noch einmal. Besser an
einem sicheren Ort verwahren. Pinky.
Er nahm sein Handy, holte sich
Pinkys Nummer aus dem Adressbuch und ließ das Telefon wählen.
„Ja?“
„Pinky? Ich bin’s, Bent.“
„Ja?“
Das lang gezogene Ja seines
Freundes zeigte ihm, dass er sich innerlich schon auf eine Bitte eingestellt
hatte, die ihm nicht gefallen würde. Aber Bent machte sich keine Sorgen, dass
Pinky ihm etwas abschlagen würde. Das war noch nie vorgekommen. Er wusste
genau, dass Pinky ihm helfen würde, das tat er immer. Er musste ihm nicht
einmal drohen, ihre Freundschaft zu beenden, weil Pinky diesen Schritt immer
vorausdachte. Diese Bedrohung schwang unterschwellig immer mit. Und ihre
Freundschaft aufs Spiel setzen wollte er auf keinen Fall. Pinky war zwar
seltsam, aber er war nicht dumm. Er hatte nicht viele Freunde, eher gesagt gar
keinen außer ihm, und wollte ihn natürlich nicht verlieren. Nur durch ihn
schaffte er es, dass er auch mal auf Partys eingeladen wurde und unter Menschen
kam. Er war also gewissermaßen auf ihn angewiesen und hatte daher schon so
einiges in Kauf genommen.
Warum das so war? Ganz
einfach, Pinky war ein Computerfreak, ein Nerd, der nichts anderes tat, als
sich mit Computern zu beschäftigen. Bent konnte sich nicht vorstellen, dass er
eine Frage zu dem Thema mal nicht beantworten konnte. Das war zwar super, wenn
jemand Probleme mit seinem PC hatte, half aber nicht unbedingt dabei, in eine
Clique aufgenommen zu werden. Typischerweise ging es nun einmal bei diesen
Freaks damit einher, dass sie sozial eher unterentwickelt waren. Zugegeben, das
ist ein Klischee, aber es traf bei Pinky genau ins Schwarze.
Zunächst einmal sah er genauso aus,
wie man sich einen Computerfreak vorstellte. Blasse Haut, dicke Brille, ein
paar Pickel und Klamotten, die ganz sicher zweckmäßig aber bestimmt nicht
angesagt waren. Nicht gerade förderlich in der heutigen zunehmend
oberflächlichen Welt, in der das perfekte Äußere zählte wie nichts anderes.
Vielen war es einfach nur peinlich, mit Pinky gesehen zu werden. Bent, der
selbst zwar nicht wie ein Model angezogen war, aber dennoch sehr genau darauf
achtete, welche Wirkung er auf andere hatte, wäre es ähnlich ergangen, wenn er
ihn nicht schon seit der Grundschule gekannt hätte.
Was Pinkys Verhalten betraf, so
passte der Schlager Du lebst in deiner Welt wie die sprichwörtliche
Faust aufs Auge. Ab und zu mutete es gar ein wenig autistisch an. Er reagierte
oft einfach nicht so, wie jeder andere es getan hätte. Bei ihm gab es so etwas
wie Gemeinschaftsgefühl nicht. Er neigte beispielsweise schon in der Schule
dazu, immer die Wahrheit zu sagen, auch wenn das gegen den ausdrücklichen
Wunsch der Mitschüler ging. Dabei hatte das nichts damit zu tun, dass er bei
den Lehrern gut angesehen sein wollte, er konnte einfach nicht anders. Die
Folge seines Verhaltens war natürlich, dass sich immer mehr Klassenkameraden
von ihm abwandten, doch er verstand partout nicht, warum das so war. Bent hatte
wahrlich versucht, es ihm zu erklären, aber es war ziemlich aussichtslos.
Er hätte ihn ebenfalls längst
fallen lassen, hätte es da nicht diese winzige Kleinigkeit gegeben, die ihn
davon abhielt. Pinkys Familie hatte Geld. Und das war noch
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