Die Mädchen (German Edition)
gewesen, aber er hatte keine Lust, mit seiner Mutter darüber zu
diskutieren, was er tat. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten,
bis sie sich ins Badezimmer zurückgezogen hatte. Glücklicherweise passierte das
immer nach der zweiten Tasse Kaffee am Morgen.
„Kruse“, meldete sich ein Mann, der
Stimme nach eher älteren Kalibers.
„Tuchel, guten Morgen.“ Er gab sich
keine Mühe, einen falschen Namen zu benutzen. „Ich hätte gern Frau Doerner gesprochen."
„Die ist nicht im Haus, kann ich
Ihnen vielleicht weiter helfen?"
Eine dunkle Vorahnung beschlich
ihn. „Können Sie mir sagen, wann sie wieder da ist? Es ist wirklich
dringend."
Er wusste, wie die Antwort lauten
würde, bevor er sie hörte. „Frau Doerner hatte gestern ihren letzten Tag. Sie
kommt nicht mehr wieder."
„Das kann doch nicht sein."
„Leider doch. Wir waren auch
überrascht, als uns mitgeteilt wurde, dass sie nicht mehr wiederkommen wird,
denn eigentlich läuft ihr Vertrag noch über zwei Monate. Aber anscheinend ist
ihr privat etwas dazwischen gekommen."
Seine Hand krampfte sich um den
Hörer. Er wusste genau, was ihr privat dazwischen gekommen war. Er. Er hätte
fast laut aufgeschrieen. Irgendetwas lief hier gegen ihn und er hatte keine Ahnung,
was das zu bedeuten hatte. Was hatte diese Frau gegen ihn? Er kannte sie doch
überhaupt nicht.
„Hätten Sie vielleicht ihre
Telefonnummer?"
Er wusste, dass er sich die Frage
hätte sparen können. Er hätte synchron zur Antwort die Lippen bewegen können.
„Ich bin leider nicht befugt, private Nummern herauszugeben."
Er hatte kaum aufgelegt, da
klingelte es an der Tür. „Ich gehe schon“, hörte er seine Mutter von oben
rufen. Scheinbar war sie mit ihrem morgendlichen Geschäft fertig. Kurz darauf
standen die beiden Kriminalbeamten vom Tag vorher bei ihm im Wohnzimmer.
„Wir sind es wieder“, sagte die
Frau. „Ihre Mutter war so freundlich, uns hineinzulassen. Wir möchten Sie
bitten, mit uns zu kommen."
Er winkte resignierend ab. „Ist
schon gut. Fragen Sie. Ich werde Ihnen alles sagen, was Sie wissen
wollen."
Die beiden wechselten einen Blick
und der Mann zuckte mit den Achseln, nach dem Motto, warum nicht?
„Fein“, sagte die Frau. „Dann
wollen wir mal nicht so sein."
Wie gnädig. Aber ihm war es jetzt
ohnehin egal. Irgendjemand hatte da etwas ins Rollen gebracht, aus welchem
Grund auch immer, und er war anscheinend nicht in der Lage, das Ganze
aufzuhalten.
„Wo waren Sie vorgestern ab halb
zwei?"
„Ich war in der Innenstadt.
Bummeln."
„Irgendwelche Zeugen?"
„Massenhaft, aber ob sich jemand an
mich erinnern kann?"
„Haben Sie etwas gekauft? Dann
könnte man am Bon die Zeit feststellen."
„Nein."
„Sie sind also einfach nur so durch
die Stadt gelaufen." Das war der Mann, der ihm offensichtlich nicht
glaubte.
„Nach acht Jahren in einer Zelle
mit einem fetten Russen, der mich jederzeit hätte kalt machen können, wollte
ich einfach mal meine neue Freiheit genießen. Ich weiß, dass Sie das mit ihrem
schicken Vorstadthäuschen im Grünen sicher nicht nachvollziehen können, was es
bedeutet, sich einfach mal frei bewegen zu können."
Wenn er den Mann mit seiner
Bemerkung getroffen hatte, ließ der es sich zumindest nicht anmerken. „Und abends?"
„Ich war so gegen achtzehn Uhr
wieder hier. Das wird meine Mutter bestätigen können, obwohl Sie der
wahrscheinlich auch nicht glauben. Eine Mutter tut ja bekanntlich alles, um ihr
Junges zu schützen. Und dann bin ich zu Hause geblieben."
„Noch mal zurück zu damals“, begann
der Mann und er rollte die Augen, was nicht unbemerkt blieb.
„Nur ganz kurz“, sagte der Mann in
beschwichtigendem Ton. „Warum haben Sie den Mord gestanden und dann später Ihr
Geständnis widerrufen?"
„Der Rat meines Anwalts.“ Er verzog
das Gesicht, als er sich an den fetten Schmierlappen erinnerte, der nichts
zustande gebracht hatte außer diesem ständigen Schwitzen. „Eine völlige Niete,
wenn Sie mich fragen, aber ich komm nicht aus reichem Haus. Ich konnte mir
keinen besseren leisten."
„Also nur eine Show?"
„Ganz ehrlich? Ich war so
volltrunken damals, ich weiß fast gar nichts mehr. Dass ich mit dem Mädchen Sex
hatte, daran kann ich mich erinnern, aber danach?"
Er wusste, dass sie ihm nichts
abkauften, aber das war ihm auch egal. Was geschehen war, konnte eh nicht mehr
rückgängig gemacht werden. Ihn interessierte vielmehr die Gegenwart. „Warum
sind Sie hier? Sie haben gestern
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