Die Mädchen (German Edition)
dafür war, dass hier kein
Putzdienst, sondern die Mieter selbst für die Reinigung zuständig waren. Und
augenscheinlich nahm es nicht jeder von ihnen mit dieser Pflicht so genau. Die
Holzfenster waren alt und zugig und die Scheiben seit längerem nicht gereinigt
worden. Gemütlich.
Es stellte sich heraus, dass Bent
Masio im obersten, also dritten, Stockwerk wohnte in der mittleren Wohnung von
dreien auf demselben Flur. Die Tür stand sperrangelweit offen, als Funke nach
Behrend die letzte Stufe erreichte. Von Masio keine Spur.
Behrend klopfte an die Tür.
„Hallo?“
„Einen Moment“, tönte es von
drinnen und keine fünf Sekunden später erschien ein junger Mann im Türrahmen,
der genauso aussah, wie Funke ihn sich nach den zahlreichen Schilderungen vorgestellt
hatte. Er war groß, hatte seine halblangen, dunklen Haare mit einem Zopf nach
hinten gebunden, trug einen Dreitagebart und ein paar Ohrringe auf beiden
Seiten. Auf seinem rechten Oberarm hatte er eine bunte Schlange tätowiert,
wovon er noch nichts gehört hatte. Kein Freund, den er seiner Tochter gewünscht
hätte. Dabei hatte er erstaunlicherweise ein ganz hübsches Gesicht, mit dem er
bei anderer Aufmachung durchaus hätte beeindrucken können.
„Herr Masio?“
Er schob die Tür ein wenig weiter
zu und zog fragend die Augenbrauen hoch, doch Funke hatte Erfahrung in Verhören
und ließ sich nicht täuschen. Er merkte gleich, dass Masio cool wirken wollte,
es aber nicht war.
„Ja. Wer sind Sie?“
Er konnte Funke nichts vormachen.
Er wusste ganz genau, wen er da vor sich hatte, aber es gehörte zu seinem
Spiel, den Unwissenden zu geben. Funke ging, einmal tief durchatmend, darauf
ein und stellte sie beide vor.
„Mordkommission?“
Behrend hatte weniger Geduld.
„Hören Sie auf so zu tun, als wüssten Sie nicht, warum wir hier sind, Herr
Masio. Es geht um Sina Keller, aber das brauchen wir Ihnen nicht zu sagen.
Jetzt hören Sie mit der Komödie auf und lassen Sie uns rein.“
Sichtlich geschockt von seinem
Ausbruch riss er förmlich seine Tür auf und trat zur Seite.
„Sehen Sie, es geht doch“, sagte
Behrend und ging an ihm vorbei. Funke konnte sich gerade noch ein Grinsen
verkneifen, als er Masios weit aufgerissenen Augen sah.
Der Flur der Wohnung war kaum einen
Quadratmeter groß und führte direkt ins Wohnzimmer, das dem ungemachten Bett
nach auch als Schlafzimmer fungierte. Masio drückte sich an ihm vorbei und warf
hastig eine Decke über das Bett, die zuvor auf dem Sofa gelegen hatte.
Sichtlich peinlich berührt wegen der Unordnung nahm er eilig das benutzte
Geschirr von seinem kleinen gläsernen Couchtisch und stellte es auf die Spüle.
Dann stand er mit den Händen in die Hüften gestemmt vor seiner offenen Küche.
„Ich bin noch nicht zum Aufräumen
gekommen“, bemerkte er überflüssigerweise, denn das war offensichtlich. Aber
scheinbar war er unschlüssig, was er sonst sagen sollte, nachdem Behrend ihm
klar gemacht hatte, dass er das Schauspielern nicht erfunden hatte.
Während Funke sich in dem Zimmer
umsah, was ja immer beinahe automatisch geschieht, wenn jemand eine Bemerkung
macht, die einen eigentlich davon abhalten soll, genauer hinzusehen, überkam
ihn das Gefühl, als wäre irgendetwas komisch an der Wohnung.
„Dann wollen wir Sie mal nicht
länger als nötig davon abhalten“, sagte er, seine Überlegungen beiseite
schiebend. „Wo waren Sie vorgestern Nachmittag ab vierzehn Uhr?“
Masio holte tief Luft und pustete
sie anschließend mit runden Wangen wieder aus. „Na, Sie kommen gleich zur
Sache, oder? Geht es um mein Alibi?“
„Beantworten Sie einfach unsere
Frage.“
Er runzelte die Stirn, scheinbar
bemüht sich daran zu erinnern, was er vor zwei Tagen gemacht hatte. Da hatte er
Behrends Rat, ihnen nichts vorzuspielen, schon wieder vergessen. Funke war
klar, dass er genau wusste, wo er gewesen war.
„Ich hab mich mit meiner Freundin
getroffen.“
„Mit Judith Keller.“ Sie konnten ihn
ruhig wissen lassen, dass sie bereits ziemlich gut über ihn unterrichtet waren.
„Ja.“
„Wann genau?“
„Wir waren um vierzehn Uhr
verabredet.“
„Aber getroffen haben Sie sich erst
später.“
„Wie kommen Sie darauf?“ fragte er
hastig. „Hat Judith das gesagt?“
Funke ließ ihn einen Moment zappeln
und sah ihm dabei zu, wie er sich den Handrücken aufkratzte. Dazu gehörte
einiges, waren seine Nägel doch extrem heruntergekaut.
„Judith war um vierzehn Uhr noch zu
Hause. Also lassen Sie sich
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