Die Mädchen (German Edition)
hast
du mir das nie gesagt?“
Er lächelte traurig. „Das hab ich
versucht, aber du wolltest es nicht hören. Du warst so sehr davon überzeugt,
dass ich sagen konnte, was ich wollte. Und irgendwann hab ich dann aufgegeben.“
Sie musterte ihn und nickte
langsam. „Simon, hör mir zu. Ich habe heute Nacht einen Entschluss gefasst.
Wenn du einverstanden bist, es noch einmal wirklich mit mir zu versuchen, dann
hör ich auf zu trinken.“
Er verschluckte sich fast an seinem
Kaffee. Was erzählte sie ihm da?
„Was? Du trinkst?“
„Ja.“ Sie öffnete die Tür unter dem
Ausguss, bückte sich, holte eine halbvolle Flasche Wodka heraus und stellte sie
vor ihn auf den Tisch.
Ach, du verflixte Scheiße! Er war
schockiert! Nicht so sehr darüber, dass sie trank, das erklärte einiges, obwohl
das auch schlimm war, sondern weil er zu blind gewesen war, es zu sehen. Konnte
es noch schlimmer kommen? Da ging seine Frau kaputt neben ihm und er merkte gar
nichts. Aber warum war ihm nichts aufgefallen? Hatte sie ihn so wenig interessiert?
„Wie lange geht das schon?“
„Ich weiß es nicht. Es hat ganz
langsam angefangen. Ein Glas Wein pro Abend, dann schon mal eins am Mittag. Und
jetzt schaffe ich es nicht ohne eine Flasche Wodka bis zum Nachmittag.“
Er war fassungslos. Wieso hatte er
nicht gesehen, dass sie Hilfe brauchte?
„Komm mit“, sagte sie und nahm ihn
bei der Hand. Sie führte ihn nach draußen in den Garten und zur Laube. Sie
beugte sich über die Regentonne und holte hinter ihr eine Plastiktüte hervor.
Er wusste, dass sie ihm ihren Vorrat zeigte. Er schüttelte nur stumm den Kopf.
„Deshalb muss ich es wissen. Ich
bin bereit, das Trinken aufzugeben, einen Entzug zu machen, falls nötig, aber
ich muss wissen, wofür ich das tue. Sonst weiß ich, dass ich keine Chance habe.“
Er machte einen Schritt auf sie zu
und schloss seine Arme um sie. Sie schluchzte hemmungslos. Wie zerbrechlich sie
sich anfühlte. Er hasste sich selbst, dass er ihr das angetan hatte. Okay, sie
war es, die trank, aber er hatte sie dazu gebracht. Es war unverzeihlich. Und
plötzlich verstand er auch, warum sie so gezittert hatte, warum sie oft so
ziellos umherlief und nichts aus sich machte. Er nahm sie bei den Schultern und
hielt sie auf Armeslänge von sich weg.
„Pass auf, Cordu. Wir schaffen
das.“ Er sah ihr eindringlich in die Augen. „Wir stehen das gemeinsam durch. Du
gehst in eine Suchtklinik, sofort. Und ich werde gleich erst mal allen Alkohol
im Haus vernichten. Sind das alle Vorräte, die du gebunkert hast?“
„Ja.“ Ob das wahr war oder nicht,
spielte keine Rolle. Er würde ohnehin das ganze Haus auf den Kopf stellen,
sobald sie sicher untergebracht war.
Er nahm ihr die Tüte ab. „Okay.
Dann komm jetzt. Wir müssen ein paar Telefonate führen.“
Er schlang den Arm um ihre
Schultern und so gingen sie zurück in die Küche. Merle hatte am Tisch Platz
genommen und eben von einem Toast mit Nutella abgebissen. Sie starrte sie mit offenem
Mund an.
„Freakshow“, sagte sie trocken und
spülte ihren Bissen mit einem Schluck Kakao hinunter.
Simon warf ihr einen finsteren
Blick zu. „Mehr hast du nicht zu sagen?“
Sie zuckte mit den Achseln und aß
weiter ihr Frühstück. Sie war geschminkt, aber nicht ganz so stark wie sonst.
Ihre Klamotten waren auch nicht ganz so aufreizend. Jeans und T-Shirt, das
sogar mal bis über die Hüften reichte und nicht bei jeder Bewegung bis zu den
Achseln hoch rutschte.
„Wir beide sprechen uns noch“,
sagte er in solch einem drohenden Ton, dass sie sich verschluckte und ins
Husten kam.
Er nahm das Telefon. „Wie ist die
Nummer von Dr. Lehmann?“
„Drück die 18“, sagte Cordula.
Er erklärte dem Arzt, was mit
seiner Frau los war und bekam von ihm die Adresse einer Klinik genannt. Der
Arzt versprach, für Cordula für diesen Vormittag einen Termin zu vereinbaren. Simon
beendete das Gespräch und schickte seine Frau nach oben zum Packen.
„Und jetzt zu dir, kleine Dame.“
„Ich hab gar keine Zeit.“ Merle
sprang auf und wollte an ihm vorbeigehen, aber er hielt sie am Arm fest. „Aua,
du tust mir weh!“
Er drückte sie wieder runter auf
ihren Stuhl. „Du wirst jetzt hübsch hier bleiben und mir ein paar Fragen
beantworten.“
„Hast du mal auf die Uhr gesehen?
Ich muss zur Schule.“
„Das hat dich doch gestern auch
nicht interessiert. Wenn die Lehrer nachher fragen, warum du zu spät bist, gib
einfach mir die Schuld.“
Sie rieb sich den Arm, um ihm
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