Die Mädchen (German Edition)
zu
zeigen, dass er zu grob gewesen war, aber sein Mitleid hielt sich in Grenzen.
Er musterte sie, wie sie so dasaß, den Blick an ihm vorbei gerichtet, im Versuch
gleichgültig zu wirken. Sein Blick verharrte auf ihrem Gesicht. Ein
Nasenpiercing?
„Wo hast du das denn her?“
„Was?“
„Das Ding in deiner Nase.“
„Hab ich mir machen lassen.“ Sie
sah ihn auffordernd an. „Sieht cool aus, oder?“
Ja, ganz toll. „Brauchst du dazu
nicht die Erlaubnis deiner Eltern?“
„Hab ich mir selbst gestochen.“
„Bist du noch ganz dicht? Das kann
sich entzünden.“
„Wie du siehst, ist alles in
Ordnung.“
Fragte sich nur, wie lange noch.
Na, er würde schon dafür sorgen, dass sie nicht noch mehr Löcher in ihren
Körper stach. Aber jetzt ging es um etwas anderes.
„Lassen wir das. Also, wo bist du
gewesen?“
„Bei einem Freund.“
„Das reicht mir nicht. Wie heißt
dieser Freund?“
Sie schüttelte den Kopf. „Keine
Chance. Das verrate ich dir nie.“
„Weißt du eigentlich, was wir uns
für Sorgen gemacht haben? Deine Mutter ist fast durchgedreht vor Angst.“
Sie verschränkte die Arme vor der
Brust. „Hör bloß auf. Du bist doch nur sauer, dass du deinen netten Urlaub
absagen musstest und jetzt auf den Kosten sitzen bleibst.“
Ganz falsch lag sie da nicht, aber
im Moment überwog tatsächlich seine Sorge um ihre Mutter. „Das ist nicht wahr.
Du hättest deine Mutter mal sehen sollen gestern.“
„Seit wann interessiert es dich,
wie es Mama geht? Du hast ja nicht einmal gemerkt, dass sie säuft wie ein
Loch.“
Er zuckte zusammen. „Du hast das
gewusst?“
„Was meinst du, wie oft ich sie vom
Boden gezogen und unter die Dusche gestellt habe, damit sie wieder fit ist,
wenn du nach Hause kommst.“
Sie hatte wahrscheinlich gedacht,
sie tat ihrer Mutter damit einen Gefallen. Dass sie damit eher das Gegenteil
bewirkte, konnte sie nicht wissen. Sie war eben erst vierzehn, wenn sie auch
noch so erwachsen wirkte, während er mit ihr sprach.
„Und was sollte denn diese
rührselige Nummer gerade? Das nimmt dir doch sowieso keiner ab.“
Er war richtig erschrocken, was sie
für eine schlechte Meinung von ihm hatte. Aber was hatte er erwartet? Er hatte
ja selbst Schuld. Er hatte sie beide vernachlässigt, weil er zuviel mit sich
selbst zu tun gehabt hatte. Wenn er abends nach Hause gekommen war, hatte er
sich mit dem Bild zufrieden gegeben, das sie für ihn entworfen hatte, das der
lieben Tochter.
„Hör auf. Ich werde jetzt dafür
sorgen, dass es deiner Mutter wieder besser geht. Ich will, dass wir wieder
eine Familie sind.“
Sie lachte. „Wach auf, Papa. Dafür
ist es längst zu spät.“
Er kannte sie nicht wieder. Wo war
das Mädchen hin, das letzte Woche noch so friedlich mit ihm zu Abend gegessen
hatte? Hatte es das etwa nie gegeben? In diesem Moment jedenfalls kam sie ihm
wieder wie eine Erwachsene vor, die schon allerhand erlebt hatte. Was hatte sie
so hart gemacht? Unzählige Nachmittage mit ihrer betrunkenen Mutter
wahrscheinlich. Meine Güte, was war er für ein schlechter Ehemann und Vater.
Aber das würde sich jetzt ändern. Und auf einmal fiel ihm auf, dass sie ihn
geschickt vom eigentlichen Thema abgelenkt hatte.
„Noch mal zurück zu dir“, versuchte
er, die Kurve zu kriegen. „Die Polizei hat über tausend Euro bei dir im Zimmer
gefunden. Woher hast du das?“
Sie sprang auf. „Ihr habt die
Bullen in mein Zimmer gelassen? Seid ihr noch ganz dicht?“
„Darum geht es doch wohl nicht.“
„Ihr habt meine Privatsphäre
verletzt.“
Hatte eine Vierzehnjährige das
Recht auf eine Privatsphäre? Ihm schwirrte der Kopf. Irgendwie kriegte er sie
nicht zu fassen. „Noch bist du keine achtzehn, dass du machen kannst, was du
willst.“
„Leider. Und wo ist mein Geld?“
Sicher verwahrt. „Du meinst die
tausendvierhundert Euro? Sag mir, wo du sie her hast, dann bekommst du sie
vielleicht zurück.“
„Es ist mein Geld. Und woher ich
das habe, geht dich überhaupt nichts an.“
Er legte den Kopf schief. „Deine
Sache. Wenn du es nicht wiederhaben willst...“
Wenn Blicke töten könnten, hätte
sein letztes Stündlein geschlagen. „Ich hasse dich.“
Er schenkte ihrem Ausbruch keine
Beachtung. „Ich hab dich neulich mit deinem Onkel gesehen. Was habt ihr miteinander
zu schaffen? Was denkst du, warum ich ihm verboten habe, hierher zu kommen?
Dieser Typ macht nur Ärger und ich möchte nicht, dass du dich mit ihm abgibst.“
Sie sah ihn mit großen
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