Die Mädchen (German Edition)
Sohn das Geld zukommen lassen sollte. Ich nehme an, er hatte auch ein
wenig Angst, dass meine Mutter dann irgendwie etwas merken würde. Vielleicht
hat er einfach auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.“
„Den hat er dann aber verpasst“,
sagte sie trocken. „Wie viel ist es denn, wenn ich fragen darf?“
„Hundertfünfzigtausend.“
Sie riss die Augen auf. „Mein
Gott.“
Timo wartete einen Moment, bis sie
sich beruhigt hatte. „Wollen Sie mir nicht sagen, wo ich Ihren Sohn finde?“
Sie zog an der Zigarette. „Tja, ich
denke, da kommen Sie ein bisschen zu spät.“
Wieso? War er gerade gegangen,
bevor er gekommen war? Oder was meinte sie?
„Er ist im Krankenhaus.“
„Süd oder Ost? Sagen Sie mir die
Zimmernummer oder begleiten Sie mich doch.“
„Das wird Ihnen nichts nützen.
Christopher liegt im Koma.“
Timo sah Frau Tuchel an. „Mein
Gott, wie ist das passiert?“
„Er hat vorgestern versucht, sich
das Leben zu nehmen.“
„Wie...“
Sie drückte ihre Zigarette aus.
„Erhängt. Mit seinem Gürtel an einem Rohr im Keller. Ich hab ihn nur durch Zufall
gefunden.“
Timo konnte es nicht fassen. Da
hatte er einen Bruder, von dem er seit fast dreißig Jahren keine Ahnung gehabt
hatte, hatte sich dazu durchgerungen, ihn treffen zu wollen und jetzt das.
Konnte das wahr sein? Was ihn am meisten verwunderte, war die Ruhe, mit der
Frau Tuchel über den Selbstmordversuch ihres Sohnes sprechen konnte, der erst
zwei Tage zurücklag.
Sie deutete seinen Blick richtig.
„Sie wundern sich sicher, warum ich nicht in Tränen aufgelöst bin.“ Sie wartete
seine Antwort nicht ab. „Ich hab keine Tränen mehr übrig für ihn. Die hab ich
in den letzten acht Jahren aufgebraucht.“
Timo verstand gar nichts. Sie hielt
die rechte Hand hoch und erhob sich. „Warten Sie einen Moment, dann zeige ich
Ihnen, was ich meine.“
Sie verschwand und Timo ließ sich
tief in das Sofa sinken. Er begriff überhaupt nichts. Was war hier los,
verdammt noch mal? Er hatte mehr Fragen als vorher. Wieso hatte er sich nur
darauf eingelassen? Sein Vater war doch tot und außer ihm wusste niemand
Bescheid, da hätte er doch alles auf sich beruhen lassen können. Das war
natürlich Quatsch. Von dem Moment an, in dem sein Vater ihm alles anvertraut
hatte, war ihm klar, dass er seinen Wunsch respektieren würde.
„Hier.“
Timo zuckte zusammen, hatte er sie
doch nicht zurückkommen hören. Sie hatte einen Zeitungsausschnitt in der Hand,
dem sie ihm vors Gesicht hielt. Er nahm ihn ihr aus der Hand. Es ging um den
Mord an einem vierzehnjährigen Mädchen.
„Das war vor acht Jahren“, erzählte
sie.
„Ihr Sohn war das?“ Timo war
fassungslos.
„Ja.“
„War er im Gefängnis?“
„Bis vor knapp einem Monat.“
„Und warum...?“
„Er sich erhängt hat, meinen Sie?
Er hat mir einen Zettel hinterlassen, den allerdings die Polizei mitgenommen
hat.“
„Die Polizei?“
„Die kommen immer bei solchen
Fällen. Routine. Es könnte ja sein, dass da jemand nachgeholfen hat.“
„Was stand auf dem Zettel, wenn ich
fragen darf?“
„Dass er nicht zurück ins Gefängnis
will.“
Timo kniff die Augen zusammen.
Hatte er etwas verpasst?
„Das Mädchen, das letzte Woche
ermordet aufgefunden wurde“, half sie ihm auf die Sprünge.
Davon hatte er natürlich gehört.
„Das war er?“
„Er hat geschrieben, dass er es
nicht war. Und ich glaube ihm. Wenn er sowieso sterben wollte, warum sollte er
dann nicht die volle Wahrheit sagen? Aber er hat geglaubt, dass man ihn trotzdem
dafür verurteilen wird.“
„Hatte die Polizei ihn denn unter
Verdacht?“
„Sie hatten schon mit ihm
gesprochen, aber es sah eigentlich nicht so aus, als hielten sie ihn für den
Täter. Ich meine, sie haben ihn ja schließlich nicht gleich verhaftet, oder?
Aber Chris hat sicher nach dem Zeitungsartikel nicht mehr geglaubt, dass er
noch lange auf freiem Fuß bleibt."
Und sie zeigte ihm die Lübecker
Nachrichten vom Tag, an dem er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Großer
Aufmacher war der Fund der Mädchenleiche und darunter hatte man ein Bild von
einem jungen Mann gedruckt, der das Gefängnis verließ. Die Überschrift lautete Hat man hier mal wieder jemanden zu früh
entlassen?
Vorher
„Ich würde dich so gern häufiger
sehen“, flüsterte ich in ihr Ohr und knabberte dabei leicht an ihrem Läppchen.
Sie lachte auf. „Das kribbelt.“
Ihr Lachen klang so dermaßen
erotisch, dass mir dabei ganz heiß wurde. Vielleicht
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