Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Döhring
Vom Netzwerk:
Gerichtsmedizin
unter diesem widerlichen, grünen Tuch gelegen hatte. Sie hatte ausgesehen, als
ob sie schlief und dann auch wieder nicht, so wachsähnlich wie die Haut war.
Sie bereute im Nachhinein, dass sie darauf bestanden hatte, sie noch einmal zu
sehen. Jetzt wurde sie das Bild überhaupt nicht mehr los. Es verdrängte alle
anderen Bilder von Sina und nahm dadurch einen Stellenwert ein, der ihm nicht
gebührte.
    Hauptkommissar Funke hatte Wort
gehalten und sie am Samstag angerufen, um ihr zu sagen, dass die Untersuchungen
abgeschlossen waren. Man hatte für sie und Marius einen Termin gemacht und wenn
der Gedanke, neben ihrer toten Tochter auf ihren Ex zu treffen, ihr zunächst
nicht gefallen hatte, war sie letztendlich froh darüber, dass er an ihrer Seite
war. Er war ohne Janine aufgetaucht, Gott sei Dank hatte sich da wohl seine
Vernunft durchgesetzt, hatte sie zur Begrüßung ohne ein Wort in den Arm
genommen und war gemeinsam mit ihr in die sterilen Räume gegangen. Sie wusste,
dass Zoe, die sie zur Gerichtsmedizin gefahren hatte, sie vom Wagen aus
argwöhnisch beobachtete, aber sie scherte sich keinen Deut darum. Das war eine
Ausnahmesituation und niemand hatte das Recht, ihr zu sagen, wie sie sich zu
verhalten hatte, vor allem nicht, wenn das, was sie tat, sich so richtig
anfühlte.
    Marius hatte die ganze Zeit ihre
Hand gehalten und es hatte ihr gut getan, zu wissen, dass sie die Prozedur
nicht allein durchstehen musste, dass sie jemanden an ihrer Seite hatte, der genauso
litt wie sie. Sie hatte ja zunächst bezweifelt, dass für ihn der Verlust ebenso
schmerzhaft war, doch ein Blick in sein Gesicht hatte sie eines Besseren
belehrt. So hatte sie sich an ihn geklammert, und es war bitter nötig gewesen,
dass sie sich an jemandem festhalten konnte. Als das Tuch vom Gesicht ihrer
Tochter entfernt wurde, hatte sie kurzzeitig das Gefühl in den Beinen verlassen
und sie wäre prompt nach hinten weggesackt, hätte Marius sie nicht aufgefangen.
Nachdem sie fertig waren, waren sie immer noch Hand in Hand nach draußen zu
ihren Autos gegangen. Marius hatte sie bis zur Beifahrertür begleitet. Aus den
Augenwinkeln hatte sie Zoe ganz ruhig auf dem Fahrerseite sitzen gesehen. Sie
machte keine Anstalten auszusteigen und dafür war Almut ihr dankbar.  
    „Es war falsch“, sagte Marius. „Das
weiß ich jetzt.“
    Sie nickte traurig und ließ ihren
Tränen freien Lauf. Er hatte es also auch gespürt. „Ja.“
    „Ich hätte nicht darauf bestehen
sollen.“
    Sie sah, wie sich seine Augen mit
Tränen füllten und ihr wurde das Herz schwer. Sie konnte sich nicht erinnern,
ihn jemals weinen gesehen zu haben und es berührte sie in einer Weise, die sie
für sich gar nicht einordnen konnte.
    „Ich bin froh, dass du da warst“,
presste sie hervor.
    Er nahm sie in den Arm und sie
lehnte den Kopf an seine Brust und ließ sich einfach nur gehen. Es fühlte sich
so gut an, so vertraut, so richtig, dass sie fast vergessen hätte, dass sie
seit fünf Jahren getrennt waren. Es war natürlich nur die Trauer, die ihr die
Sinne vernebelte. Marius war noch genau der gleiche Mistkerl, von dem sie sich
hatte scheiden lassen. Als sie sich voneinander lösten, waren sie beide
verlegen.
    „Ich hoffe, sie finden das
Schwein“, sagte er schließlich.
    „Ich auch.“
    Damit war alles gesagt. Sie stieg
in ihren Wagen und sah ihn das gleiche tun.
    „War es sehr schlimm?“ fragte Zoe
mit weicher Stimme.
    Schlimm war gar kein Ausdruck. Sie
sah Marius hinterher, wie er in seinem BMW davonfuhr. „Ich möchte jetzt nicht
darüber reden.“
    Zoe startete den Wagen. „Okay.“
    Sie fuhr vom Parkplatz und trat
stumm den Nachhauseweg an. Nach einer Weile hielt sie es aber anscheinend nicht
mehr aus. „Was war das denn für eine Show vorhin mit dir und Marius?“
    „Das war gar nichts.“
    „So hat es für mich aber nicht
ausgesehen.“
    War klar, dass sie das so nicht
einfach stehen lassen konnte. „Bitte Zoe. Es war ein schlimmer Moment für uns
beide und wir haben uns gegenseitig Halt gegeben. Mehr war das nicht.“
    „Und da bist du dir sicher?“
    „Ja. Und jetzt möchte ich nicht
mehr darüber reden.“
    „Ist ja gut. Ich mach mir nur
Sorgen um dich.“
    Sie drehte sich zu ihr hin. „Das
ist lieb von dir, aber das musst du nicht.“
    Zoe zuckte mit den Schultern. „Ich
hoffe nur, du hast nicht vergessen, wie er dich in den letzten Jahren behandelt
hat.“    
    Na, wenn man ehrlich war, war sie
ja umgekehrt auch kein

Weitere Kostenlose Bücher