Die Mädchen (German Edition)
Besuch hatte sie anscheinend nicht mehr gerechnet, denn sie trug
einen schlabberigen Pulli aus Nickistoff und eine Jogginghose, die auch schon
bessere Tage erlebt hatte. Waren das Farbflecken auf dem linken Knie?
„Was wollen Sie von mir?“
„Sie haben mehrere Artikel über
meinen Bruder verfasst.“
„Hat er Ihnen das gesagt?“
„Ja.“ Er hatte es Doreen erzählt,
aber das musste die Doerner ja nicht wissen.
„Wieso heißen Sie anders als Ihr
Bruder?“ Aufgepasst hatte sie, aber wenn sie Journalistin werden wollte, musste
sie das wohl auch.
„Wir haben denselben Vater aber
nicht die gleiche Mutter.“
„Ach so.“
„Sie haben meinem Bruder erzählt,
dass nicht Sie für die Artikel verantwortlich waren, sondern ein gewisser Herr
Hachmeister, der angeblich ein Volontariat bei den LN macht.“
„Das hab ich, ja.“
„Aber in Wahrheit haben Sie ein
Volontariat gemacht und einen Herrn Hachmeister gibt es nicht. Ist es nicht
so?“
„Sie halten sich ja für ganz
besonders schlau, oder?“ Sie wollte kühn wirken, aber es kam nicht so richtig
bei ihr an. Und auch Timo schien unbeeindruckt.
„Jetzt passen Sie mal auf, Frau
Doerner. Ich denke, Sie verkennen hier den Ernst Ihrer Lage. Es liegt ganz bei
Ihnen, wie es weitergeht. Entweder, Sie sagen mir, was ich wissen möchte, oder
aber ich gehe, sobald ich aus dieser Tür bin, zur Polizei und sage denen, was
ich weiß.“
„Und was könnte das wohl sein?“
fragte sie mit spöttischem Unterton.
Doreen wusste nicht, ob Timo es
merkte, aber ihr war sofort klar, dass die Frau bluffte. Sie hatte panische
Angst vor der Polizei. Einen Augenblick bedauerte sie, dass sie sich lediglich
in der Rolle der Beobachterin befand und zum Zuschauen verdammt war, denn sie
hätte genau gewusst, wie sie weitermachen würde, aber ob Timo auch eine Idee
hatte? Sie überlegte kurz, ob sie eingreifen sollte, entschied sich aber
schnell dagegen. Das war seine Show und die wollte sie ihm nicht vermasseln,
indem sie dazwischenfunkte und die Frau misstrauisch machte. Außerdem hatte er
sie bis hierher überrascht. Er war zwar unerfahren, doch er hatte sich soweit
ganz beachtlich geschlagen. Vielleicht ging das ja so weiter. Sie versuchte ihm
unbemerkt mit den Augen ein Zeichen zu geben, aber er hatte nur Augen für die
Doerner. Er brütete etwas aus, ganz sicher.
„Sie wissen, dass mein Bruder im
Koma liegt?“
Frau Doerner fuhr zurück. „Was?“
Ein geschickter Schachzug, diese
Richtungsänderung. Sie wusste, dass Glen das auch gern immer mal wieder tat, um
Zeugen aus der Reserve zu locken und recht erfolgreich damit war.
„Nach Ihrem letzten Artikel hat er
versucht, sich das Leben zu nehmen. Es hat fast funktioniert.“
Sie fuhr sich mit der Hand durch
ihr kurzes Haar. Doreen sah, wie sie zitterte. Mach weiter, versuchte sie, ihm
stumm zu signalisieren. Nur nicht nachlassen.
„Das tut mir leid“, murmelte Frau
Doerner.
Doreen hätte sich um Timo keine
Sorgen zu machen brauchen. Er hatte einen guten Instinkt. „Jetzt wird die
Polizei natürlich Fragen stellen.“
Sie machte große Augen. „Warum? Es
kann doch keiner dafür.“
„In einem Selbstmord wird immer
ermittelt. Wussten Sie das nicht? Und wenn Sie sagen, niemanden trifft dabei
eine Schuld, sollten Sie mal den Abschiedsbrief meines Bruders lesen.“
Er machte eine kunstvolle Pause und
sie biss an. „Wieso? Was steht denn drin?“
Doreen applaudierte ihm innerlich.
Alles richtig gemacht. Besser hätte sie es auch nicht hinbekommen. Vielleicht
sollte sie ihn fragen, ob er nicht den Beruf wechseln sollte.
„Dass er sich wegen Ihres Artikels
umgebracht hat, was dachten Sie denn?“
Sie hielt sich die Hand vor den
Mund. „Nein, das kann nicht sein.“
„Doch. Bislang weiß die Polizei
nichts von diesem Brief, aber wenn ich von Ihnen nicht höre, was ich wissen
will, werde ich ihn ihr mit Vergnügen übergeben.“
Sie sah von einem zum anderen, und
erinnerte Doreen dabei ein bisschen an ein Reh, das zwischen zwei Scheinwerfer
gelaufen war und nicht aus der Gefahrenzone entfliehen konnte.
„Verdammter Mist! Ich wusste es.
Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen. Jetzt hänge ich richtig in der
Scheiße.“
„Vielleicht klären Sie uns mal
auf?“
Sie lehnte sich mit dem Rücken an
die Tür. „Mir ist jetzt sowieso alles egal. Mein Job ist eh weg und bei einer
anderen Zeitung in der Größenordnung brauche ich es gar nicht zu versuchen.“
Was war das jetzt? Betteln um
Mitleid? Das
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