Die Mädchen (German Edition)
tun.“
„Warum nicht?“
Sie seufzte und setzte sich zu ihm.
„Wir haben uns gestern gestritten, wenn du es genau wissen willst. Und nein,
ich sage dir nicht, worum es ging.“
„Ich hab ja gar nicht gefragt.“
„Was ist mit deiner Praxis? Lässt
du sie zu?“
„Wie du siehst. Ich hab die ganze
Woche noch dicht gemacht. Ich kann an nichts anderes denken als an Sina.“
Er sah, wie sich Almuts Augen mit
Tränen füllten und merkte, wie auch bei ihm das Wasser in die Augen schoss.
„Ich weiß“, sagte sie nur.
Eine Weile saßen sie schweigend
nebeneinander und hielten sich gegenseitig die Hand. Es war wie am Samstag,
nachdem sie die Gerichtsmedizin verlassen hatten. Die alte Vertrautheit war
wieder da. Was hatte das zu bedeuten? Lag es daran, dass nur sie verstehen
konnten, was der jeweils andere gerade durchmachte? Konnten nur sie sich den
nötigen Halt geben, den sie in dieser Situation brauchten? Oder steckte mehr
dahinter?
Es war Almut, die sich ihm zuerst
entzog und mit ihrer Frage die Stimmung zerstörte. „Was macht eigentlich Janine?“
War klar, dass das irgendwann
kommen musste. „Keine Ahnung.“
Seine Ex starrte ihn an. „Was soll das
denn heißen?“
„Ich hab sie seit Freitag weder
gesehen noch gesprochen.“
Genauer gesagt, seit der Sache mit
dem Schmuck. Janine hatte mit großen Augen auf das Etui und den Stücken darin
gestarrt, die Sina ihr angeblich entwendet hatte. Er hatte es am Morgen ganz
zufällig entdeckt, nachdem er sich von seinem provisorischen Nachtlager auf dem
Sofa erhoben hatte. Er war etwas unstet auf den Beinen und hatte sich so
unglücklich aufgestützt, dass er das komplette Sofa mitgerissen hatte. Dabei
hatte er ein komisches Klappern gehört und war der Sache auf den Grund
gegangen. Entgeistert hatte er das Etui an sich genommen und war ohne sich zu
waschen in seine Klamotten gestiegen und raus, weg von Janine. Als er
zurückkam, konnte er sie kaum ertragen, wollte ihr dann aber doch Gelegenheit
geben, sich dazu zu äußern.
„Erklär es mir“, hatte er von ihr
verlangt.
„Bitte Marius“, hatte sie in
weinerlichem Ton gebettelt. „Es ist nicht so, wie du denkst.“
Der Klassiker! „Woher weißt du, was
ich denke?“
„Ich hatte Angst, dass du Sina mehr
glaubst als mir.“
„Und deshalb beklaust du dich
selbst?“ Er war fassungslos.
„Bitte schrei mich nicht an.“
„Ich bin so laut, wie es mir passt.
Meine Tochter ist tot, da kann ich wohl mal aus der Rolle fallen. Also los, was
hat das zu bedeuten?“
Janine hatte angefangen zu weinen,
aber auf sein Mitleid musste sie verzichten. Seine Tochter war tot, da hatte er
keine Kraft, sie zu trösten, selbst wenn er den Drang dazu verspürt hätte.
„Es tut mir leid. Die Sache mit dem
Schmuck war gelogen.“
„Das sehe ich“, sagte er mit einem
Kopfnicken in Richtung Etui.
„Ich rede nicht davon. Den Schmuck
hab ich versteckt, um meine Behauptung zu untermauern.“ Sie bemerkte seinen
Blick. „Ich weiß selbst, dass das unverzeihlich ist. Aber ich hab mir nicht
anders zu helfen gewusst.“
Er wusste, was sie ihm sagen
wollte. „Du hast Sina doch geschlagen. Mein Gott, sie hat die Wahrheit gesagt
und wir haben ihr alle nicht geglaubt.“
Janine hatte vehement den Kopf
geschüttelt. „Nein, so ist es nicht gewesen. Mir ist die Hand ausgerutscht.
Einmal. Sie hat mich so dermaßen beleidigt, das kannst du dir nicht vorstellen.
Ich wäre eine Nutte, die dich nur ausnutzen würde. Und das war noch einer der
harmloseren Ausdrücke. Irgendwann bin ich ausgerastet und hab sie geohrfeigt. Mehr
nicht. Wirklich nicht. Ich weiß, dass einmal schon zuviel ist, aber sie hat
mich so gereizt. Wahrscheinlich ist an dem Tag rausgekommen, was sich bei mir
bislang alles aufgestaut hatte.“
Sie deutete seinen Blick richtig.
„Ich will mein Verhalten damit nicht entschuldigen. Nur erklären. Ich verstehe
es ja selbst nicht, was da in mir vorgegangen ist. Jedenfalls hat sie daraus gemacht,
dass ich ständig auf sie einprügeln würde, wenn wir unter uns sind. Und da ist
mir dann die Sache mit dem Schmuck eingefallen.“
Er hatte sie nur angestarrt. Wer
war diese Frau, die ihm da gegenüber stand?
„Warum hast du nicht einfach die
Wahrheit gesagt?“
„Weil ich dachte, wenn ich erzähle,
dass ich wegen ihrer Beschimpfungen ausgerastet bin, dass ihr dann davon
ausgeht, dass das schon häufiger vorgekommen ist. Das mit dem Schmuck ließ sie
schlechter und mich besser aussehen.“
Er hatte sie kurz
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