Die Mädchen (German Edition)
respektieren habt.“
Es war das erste, das ihr
eingefallen war und gar nicht mal so schlecht, wie sie fand. Sie konnte ihm
schließlich nicht sagen, dass sie sich regelmäßig mit einem Kollegen ihrer
Mutter traf, der mindestens so alt war wie er und in den sie sich verliebt
hatte. Ihre Eltern wären ausgeflippt und das wohl nicht zu Unrecht. Allerdings
würde sie früher oder später mit der Wahrheit rausrücken müssen, denn sie
konnte die beiden ja nicht ewig anlügen. Nur musste sie das zuvor mit Andreas
absprechen.
Sie war nach dem kurzen Wortwechsel
mit ihrem Vater selbst nach oben geeilt und hatte darauf gewartet, dass ihre
Eltern das Haus verließen. Dann hatte sie kurz bei Birthe angerufen, um zu
fragen, ob sie zu Hause war und hatte sich zu ihr auf den Weg gemacht. Sie
brauchte keine fünf Minuten.
„Komm rein“, sagte Birthe, nachdem
sie ihr geöffnet hatte. „Ich rauch gerade eine.“
Judith ließ ihre Jacke an und
folgte ihr ins Wohnzimmer, wo ihre Tante sich an die offene Balkontür begab und
ihre Zigarette aus dem Aschenbecher in der linken Hand zum Mund führte. Sie sah
nicht gut aus. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe, sie war blass und ihr Haar
in einem unordentlichen Zopf nach hinten gebunden. Der Verlust ihrer Nichte war
auch an ihr nicht spurlos vorüber gegangen.
Die geöffnete Balkontür ließ
ordentlich kalte Luft ins Zimmer. Judith fröstelte trotz Jacke und verschränkte
die Arme vor der Brust. Wie hielt Birthe das in ihrem Sweatshirt aus?
Ihre Tante bemerkte, dass ihr kalt war.
Sie drückte ihre Kippe im Aschenbecher aus, stellte ihn auf dem Tisch am
Fenster ab und schloss anschließend die Tür. „Frostbeule“, sagte sie.
„Frierst du nicht?“
Birthe kam auf sie zu und hielt ihr
die Hand für ihre Jacke entgegen. „Ich hab mich dran gewöhnt. Ole hasst es,
wenn es drinnen nach Rauch riecht.“
Sie reichte ihr die Jacke. „Hast du
frei?“
Birthe nahm sie ihr ab. „Die ganze
Woche. Ich kann nicht zur Arbeit.“
„Ich geh auch nicht zur Schule.“
„Das dachte ich mir.“
Während Birthe mit der Jacke in den
Flur ging, setzte Judith sich auf das Sofa. „Ich hab Sinas Tagebuch gefunden“,
rief sie ihr hinterher.
„Was?“ kam es aus dem Flur zurück
„Sina hat ein Tagebuch
geschrieben.“
Birthe tauchte im Türrahmen
auf. „Wusstest du, dass sie eins
geführt hat?“
„Ich hatte keine Ahnung. Ich hab es
nur durch Zufall gefunden.“
Birthe setzte sich zu ihr. „Hat
denn die Polizei nicht ihr Zimmer nach Hinweisen durchsucht?“
„Ich denke schon. Aber Sina hatte
es gut versteckt.“
„Ach so.“ Birthe holte ihren Zopf
nach vorne und betrachtete ihre Haarspitzen. „Und? Hast du drin gelesen?“
„Ein bisschen.“
„Steht denn was Interessantes
drin?“
„Das kann man schon sagen.“
Ihre Tante ließ ihre Haare Haare
sein und widmete sich ihr. „Auch was über uns? Über Ole und mich?“
Sie hatte über Ole gelesen, dass er
irgendwie von der Website erfahren hatte und wie Sina damit umgegangen war,
aber darum ging es ihr nicht.
„Nur über dich.“
„Über mich?“
Wieso war sie darüber verwundert?
„Na ja, deinetwegen hat sie ja ein Versteck für das Buch gesucht.“
Sie verzog das Gesicht. „Wegen
neulich? Als wir uns so gestritten haben?“
„Was hast du in Sinas Zimmer
gemacht?“
„Deshalb bist du hier?“
„Ich verstehe es nicht. Wie
konntest du Sinas Vertrauen so missbrauchen?“
Birthe lachte freudlos. „Komm
Judith, wach auf. Sinas Vertrauen? Das war doch schon lange weg. Ich hab mir
den Arsch für euch aufgerissen und was war der Dank dafür?“
„Du wirst doch bezahlt.“
„Jetzt redest du genau wie deine
Schwester. Als ob das Geld, das ich von eurem Vater bekomme, mich reich machen
würde. Es sind zweihundert Euro im Monat, wenn du es genau wissen willst. Und
jetzt rechne mal die Stunden zusammen, die ich dafür für euch da war.“
Sie sah sie auffordernd an und
Judith überschlug es im Kopf. „Na ja...“
Es war erschreckend wenig und ihre
Tante konnte ihre Gedanken lesen. „Siehst du? Es war eine Entschädigung, mehr
nicht. Und was ist so schlimm daran?“
Sie musste zugeben, dass sie das
auch nicht sehen konnte. Aber darum ging es ja auch nicht. „Trotzdem frage ich
mich, was du in ihrem Zimmer gewollt hast.“
„Ganz ehrlich? Ich hatte die
Schnauze gestrichen voll von deiner Schwester. Wie sie mich behandelt hat,
seitdem sie wusste, dass dein Vater mir Geld gibt. Als ob ich irgendeinen
Weitere Kostenlose Bücher