Die Mädchen (German Edition)
Sie.“ Funke haute in
die gleiche Kerbe. „Sie sind getürmt, als Frau Eggers sie ansprechen wollte.
Wahrscheinlich sind Sie nur einmal um den Block gefahren und haben Ihren Wagen
dann so abgestellt, dass sie ihn nicht sehen konnte. Dann sind Sie rein.“
„Nein“, rief Waldow und öffnete
noch einen Knopf von seinem Hemd, sodass die Krawatte komplett auf halb acht
hing. „Ich war nicht in Almuts Haus. Ich habe es noch nie betreten.“ Er streckte
die Hände aus. „Nehmen Sie doch meine Fingerabdrücke und vergleichen das dann
mit denen im Haus. Ich bin sicher, meine finden Sie dort nicht.“
„Weil sie alles abgewischt haben,
bevor Sie sich aus dem Staub gemacht haben.“
Waldow zeigte Glen einen Vogel.
„Nein. Weil ich nie dort gewesen bin.“
„Kommen Sie, Herr Waldow.“ Funkes
Stimme hatte einen ganz sanften Klang angenommen. „Es hat doch keinen Sinn.
Geben Sie es zu. Sie waren dort, weil Sie nach etwas gesucht haben, wie Sie es
Almut Keller heimzahlen können. Aber irgendetwas ist dabei ganz schrecklich
schief gelaufen. Und plötzlich liegt da eine Leiche, die Sie verschwinden
lassen müssen.“
Waldow lehnte sich zurück. Sein
Blick war unstet, wanderte von einem zum anderen und Glen dachte schon, dass
sie ihn so weit hatten.
„Ich will einen Anwalt“,
enttäuschte er ihn dann aber schließlich. „Ohne den sage ich gar nichts mehr.“
Judith Keller wusste nicht so
recht, was sie von der plötzlichen Verbrüderung ihrer Eltern halten sollte. Sie
war mehr als überrascht gewesen, man konnte es schon schockiert nennen, sie so
einträchtig beisammen zu sehen, als sie sie zu ihnen hinuntergerufen hatten,
denn eigentlich war sie es gewohnt, dass man sie keine fünf Minuten allein
lassen konnte, bis sie sich gegenseitig an die Gurgel gingen. Dass ihr Vater
die vergangene Nacht bei ihnen auf dem Sofa verbracht hatte, war ganz schön
schräg. Ihr war das irgendwie nicht geheuer. Ging es ihnen wirklich nur darum,
gemeinsam etwas über Sinas Tod herauszufinden oder steckte mehr dahinter? Ihr
Vater hatte Janine zwar verlassen, aber doch wohl nicht, um zu ihrer Mutter
zurückzukehren. Und selbst wenn, sie konnte sich nicht vorstellen, dass die
Trauer um den Verlust der Tochter ein geeigneter Gradmesser für die Gefühle
füreinander sein konnte. Aber wenn sie sah, wie ihre Mutter sich in Gegenwart
ihres Vaters verhielt, war es schon möglich, dass sie sich Hoffnungen machte.
Als ihre Mutter nach oben gegangen
war, um sich für einen Besuch bei Zoe umzuziehen, hatte sie ihren Vater kurz
beiseite genommen.
„Was ist hier los, Papa?“ hatte sie
ihn gefragt.
„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Er
konnte ihrem Blick nicht begegnen, was seine Worte Lügen strafte.
„Doch, das weißt du. Ich rede von
dir und Mama.“
„Wir haben uns für Sina
zusammengerauft. Mehr ist da nicht.“
Sie musste an Janines Bitte denken
und so gern sie als Tochter ihre Eltern auch vereint sah, wusste sie dennoch,
dass die beiden keine gemeinsame Zukunft hatten.
„Du hast Janine verlassen.“
Er starrte sie an. „Woher weißt du
das? Hast du gelauscht?“
„Ich weiß es eben.“ Sie würde
Janine nicht verraten. „Papa, das ist ein Riesenfehler.“
Er war aufgestanden und unruhig auf
und ab gelaufen. „Bitte Judith, misch dich da nicht ein. Was zwischen Janine
und mir passiert ist, geht dich nichts an.“
Er sah auf die Uhr. „Was treibt
deine Mutter nur so lange da oben?“
Sie ließ sich nicht ablenken. „Ich
bin deine Tochter, da geht es mich schon etwas an, finde ich. Mach Mama bitte
keine falschen Hoffnungen. Sie braucht jetzt jemanden, also ist es vielleicht
gut, dass du für sie da bist, aber benutze sie nicht als Trost dafür, dass du
Janine verloren hast, vor allen Dingen nicht, solange du das mit Janine nicht
eindeutig geklärt hast.“
Er blieb stehen. „Sag mal, wie
redest du eigentlich mit mir?“
Wie sie es noch nie getan hatte. Sie
war über sich selbst erstaunt. Aber eine Krise brachte ja bekanntlich oft
Ungeahntes zutage.
„Wie eine Erwachsene. Papa, ich bin
sechzehn. Und im Moment finde ich, dass ich mich erwachsener verhalte als ihr
beide.“
Ihr Vater hatte die Augen
zusammengekniffen. „Wenn du so erwachsen bist, warum sagst du uns dann nicht
endlich, wo du wirklich warst, als Sina ermordet wurde?“
Das saß. Sie war zurückgezuckt. Der
Fund des Tagebuchs hatte ihr ein wenig Zeit verschafft, mehr anscheinend nicht.
„Weil ich auch eine Privatsphäre habe, die ihr zu
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