Die Mädchen (German Edition)
einen Probeausdruck gemacht, um den morgen einem Kommilitonen
zur Fehlerkorrektur mitgeben zu können. Er steckte die Arbeit in seine Tasche
und stellte sie neben den Schreibtisch. Er ließ den Computer herunterfahren,
schaltete ihn aus und schmiss sich aufs Bett, die Fernbedienung in der Hand.
Er zappte durch die Programme und
blieb bei einer Krimiserie hängen. Irgendeine Serie mit einem Fall aus der
Vergangenheit, von denen es im Moment so viele auf den Privatsendern gab. Er
ertappte sich dabei, wie er gar nicht richtig hinsah, sondern seinen Blick in
seinem Zimmer umherschweifen ließ. Er seufzte. Okay, für seine Belange reichte
ihm die Einzimmerwohnung mit Bad und er war froh, dass er bei Schlüter endlich
ausgezogen war, aber richtig wohl fühlte er sich hier nicht. Die Wände waren
dünn, die Nachbarn laut, die Fenster durchlässig und alles ziemlich
renovierungsbedürftig, aber bei seinem Budget konnte er halt nicht wählerisch
sein. Weit günstiger wäre es ihn gekommen, wenn er für das letzte Jahr seines
Studiums ins Studentenwohnheim gezogen wäre, weil er so zumindest die Fahrt
nach Hamburg zur Uni eingespart hätte, aber das hätte bedeutet, dass er Glen zu
wenig gesehen hätte und deshalb kam das überhaupt nicht in Frage. Wohl oder
übel musste er also mit diesem Zimmer vorlieb nehmen. Allerdings war es kein
Wunder, dass er sich bei Glen wesentlich mehr zu Hause fühlte. Hätte er ihn
gefragt, ob er bei ihm einziehen würde, hätte er ohne zu zögern ja gesagt.
Er musste über sich selbst den Kopf
schütteln. So überstürzt kannte er sich gar nicht. Aber er war sich so sicher,
dass dieser Mann seine Zukunft war, dass er zu allem bereit war. Die Frage war
nur, ob Glen das auch war. Schließlich hatte er schon eine feste Beziehung
hinter sich und im Gegensatz zu ihm viele Erfahrungen mit Männern gemacht. Er
hatte zwar betont, dass er ihn zu nichts drängen würde, aber würde er Nägel mit
Köpfen mit jemandem machen, der nicht sagen konnte, ob er jemals dazu bereit
sein würde, richtig mit ihm zu schlafen?
Es klingelte an seiner Tür. Glen,
der ihn überraschen wollte? Hastig sprang er vom Bett auf und eilte zur Tür. Es
war nicht Glen, sondern Gunnar.
„Gunnar“, sagte er, ohne seine
Enttäuschung zu verbergen. „Was willst du?“
„Ich würde gern mit dir reden.“
Philipp musterte seinen Bruder
kalt. „Ich wüsste nicht, was wir beide noch zu besprechen hätten.“
„Hör mal, Philipp. Ich weiß, ich
hab einen Fehler gemacht. Aber ...“
„Aber? Da gibt es kein Aber. Du
hast mein Vertrauen missbraucht. Auf Wiedersehen.“
Er wollte die Tür schließen, aber
Gunnar hielt den Arm dagegen. „Warte bitte. Ich hab da noch jemanden
mitgebracht.“
Philipp traute seinen Augen kaum,
als plötzlich seine Mutter im Türrahmen auftauchte. Sie musste die ganze Zeit
im Verborgenen neben seinem Bruder gestanden haben.
Sein Herz begann zu rasen.
„Mutter“, entfuhr es ihm.
Seine Mutter sah verändert aus,
fand er. Schön, es war schließlich fast ein Jahr her, dass er sie zuletzt
gesehen hatte, aber es lag nicht daran, dass sie älter geworden war. Sie hatte
irgendwie ihren ganzen Typ verändert und sah dadurch sogar eher jünger aus. Da
war zunächst mal ihr modischer Kurzhaarschnitt, der ihr ungemein stand. Dann
schien sie ein paar Kilo abgenommen zu haben und sie war geschminkt, was sie
sonst für sich immer abgelehnt hatte. Außer einer Tagescreme hatte sie nie
etwas benutzt. Sie trug eine Jacke mit Fellkragen, Jeans und feste Schnürschuhe
und sah aus, als wäre sie einem Modejournal entsprungen. Gunnar hatte tatsächlich
die Wahrheit gesagt, als er ihm davon berichtet hatte, wie es sich zu Hause verändert
hatte.
„Darf ich reinkommen?“
„Natürlich“, sagte er und ließ sie
eintreten.
„Ich warte draußen“, sagte sein
Bruder. „Ich denke, ihr beide habt einiges zu klären.“
Philipp schloss die Tür und ging
seiner Mutter voran durch den kleinen Flur in sein Zimmer. Zum Glück hatte er
vorhin noch aufgeräumt.
„Gibst du mir deine Jacke?“
Seine Mutter zog die Jacke aus und
reichte sie ihm. Er legte sie ans Fußende des Bettes. „Eine Garderobe habe ich
leider nicht.“ Er zeigte auf den Schreibtischstuhl. „Wenn du dich setzen
möchtest...“
Sie strich ihren dunklen Pullover
glatt, nahm Platz und ließ ihren Blick durch die kleine Wohnung wandern. „Hier
wohnst du also jetzt.“ Es kostete sie sichtlich Überwindung, nicht missbilligend
das Gesicht zu
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