Die Mädchen (German Edition)
Merle sowieso wieder auftauchen würde. Er war
nur froh, dass sein Kollege auch in der Lage war, den Trip allein durchzuziehen.
Wenn sich alles geklärt hatte, konnte er immer noch nachkommen. Auf den Stornokosten
für den Flug und das Hotel würde die Firma vermutlich sitzen bleiben, es sei
denn, er bekam einen Arzt zu fassen, der ihm ein Attest ausstellte. Er ärgerte
sich maßlos darüber, dass er hatte absagen müssen, und diese Wut hatten auch
die Beamten zu spüren bekommen. Wahrscheinlich war er etwas ungerecht gewesen,
aber irgendwie traf es ja auch die Richtigen.
„Simon, kannst du dich jetzt mal
hinsetzen? Du machst mich noch ganz verrückt.“
Als ob es ihn da benötigt hätte. Er
warf einen Blick auf seine Frau und konnte kaum glauben, wie kaputt sie aussah.
Und das lag nicht nur an der Sorge um Merle. Dahinter steckte mehr. „Und du
machst mich krank. Guck dich doch mal an. Kannst du dich nicht mal anziehen
oder willst du heute wieder den ganzen Tag im Bademantel herumlaufen?“
„Warum bist du so?“ fragte sie und
er konnte Tränen in ihren Augen sehen. Schon wieder.
Er wusste, dass er hätte Mitleid
haben müssen, aber das Gefühl wollte sich partout nicht einstellen. Er spürte
nur Ungeduld. Aber er riss sich zusammen.
„Hör mal, Cordula. Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber so geht
das nicht weiter. Wir müssen mal miteinander reden.“
„Das fällt dir jetzt ein? Wo Merle
vielleicht...“ Ihr versagte es die Stimme.
„Hör auf damit. Sofort! Wir wissen
noch gar nichts. Und pass mal auf. Ich verbiete dir, so zu denken. Merle lebt,
verstehst du? Sie lebt. Und sie kommt zu uns zurück.“
Von seinem eindringlichen Ton
sichtlich beeindruckt, atmete sie tief durch. „Wie kannst du dir da so sicher
sein?“
Er klopfte sich auf die linke
Brust. „Weil ich es spüre. Merle ist am Leben.“
Cordula schien nicht überzeugt,
aber sie heulte zumindest nicht mehr. „Dann werde ich mich mal umziehen gehen.“
„Eine gute Idee.“
Als sie die Treppe hoch gegangen
war, griff er zum Telefon und ging damit in den Keller. Es musste niemand von
dem Gespräch mitbekommen, das er führen wollte, vor allen Dingen die Polizei
nicht. Er wählte die Nummer seines Freundes Lars. Das letzte Treffen mit ihm
ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Lars’ Andeutungen hatten ihm das Gefühl
vermittelt, dass Rouven seinem Vater etwas über Merle erzählt hatte, das Lars
ihm nicht hatte sagen wollen. Er hatte es ihm durchgehen lassen, aber jetzt
musste er wissen, was das war. Vielleicht wusste Rouven ja etwas, das sie auf
Merles Spur bringen konnte. Es war noch keine sechs Uhr, aber er konnte jetzt
keine Rücksicht darauf nehmen, ob die Familie Müller noch selig schlummerte.
Schließlich ging es um seine Tochter.
„Müller“, hörte er Marinas Stimme.
„Marina? Hier ist Simon.
Entschuldige bitte die frühe Störung“, sagte er.
„Das macht nichts. Ich bin eh schon
lange wach. Willst du mit Lars sprechen?“
„Ehrlich gesagt, würde ich ganz
gern mit Rouven sprechen, wenn das geht.“
„Oh“, machte sie hörbar überrascht.
„Mit Rouven? Der schläft noch. Sie müssen doch heute erst zur dritten Stunde.
Worum geht es denn?“
„Marina, Merle ist verschwunden.
Seit gestern.“
„Oh mein Gott, Simon, das ist ja
schrecklich.“
„Das kannst du laut sagen.“
„Habt ihr die Polizei
eingeschaltet?“
Wie immer ganz die praktische Freundin. „Haben wir. Hör mal, Marina. Es ist
wirklich wichtig, dass ich mit Rouven spreche.“
„Glaubst du, dass er etwas weiß?“
Verstand sie eigentlich nicht, dass
er nicht mit ihr sprechen wollte? Warum holte sie nicht einfach ihren Sohn ans
Rohr?
„Eben das will ich herausfinden.
Wärest du so nett, ihn zu wecken?“
„Wer ist dran?“ hörte er seinen
Kumpel aus dem Hintergrund rufen.
Na großartig. Jetzt mischte der
sich auch noch ein. Er rollte mit den Augen, froh, dass die beiden am anderen
Ende ihn nicht sehen konnten.
„Simon.“ Marina machte sich keine
Mühe, den Hörer abzudecken.
„Was will der denn so früh? Ist er
noch nicht im Flieger? Gib ihn mir mal.“
„Er will mit Rouven reden.“
„Mit Rouven? Warum das denn?“
Sollte das jetzt so weitergehen?
Simon stöhnte innerlich. Dann waren womöglich die beiden Kripoleute wieder
unten, bevor er mit Rouven gesprochen hatte.
„Bitte Marina, könnt ihr das
vielleicht nachher klären?“
„Simon, ich weiß nicht, ob es so
eine gute Idee ist, wenn du mit Rouven
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