Die Mädchen (German Edition)
dumm. Sie wusste genau, was in seinem Kopf vorging. Wäre seine Tochter
wohlbehalten zu Hause, wenn er sich mehr um sie gekümmert hätte? Und war sie,
Janine, nicht daran schuld? Hatte Sina am Ende vielleicht doch Recht gehabt mit
allem, was sie behauptet hatte? Wahrscheinlich hatte Almut sein schlechtes
Gewissen sogar noch geschürt. Der war doch jedes Mittel recht, sie schlecht
dastehen zu lassen. Selbst das Verschwinden ihrer Tochter würde sie für ihre Zwecke
benutzen.
Sie warf erneut einen Blick auf
ihre Armbanduhr. Gucci. Hatte Marius ihr im letzten Urlaub in Florenz gekauft.
Jetzt war er schon zwanzig Minuten da drin. Was konnte so lange dauern? Er
konnte der Polizei doch unmöglich helfen, er wusste doch kaum etwas über Sina.
„Bis Montag dann“, rief Frau
Wentorf.
Janine winkte ihr kurz zu. Das
wurde auch Zeit, dass sie endlich ging. Es war ja schon nicht mehr normal, wie
sie versucht hatte, noch etwas zu erfahren, was im Moment vor sich ging. So
lange hatte wohl noch niemand gebraucht, sich in seinen Mantel zu pellen. Nur
gut, dass die anderen Mädels nicht so gestrickt waren. Die hatten sich mehr
gefreut, dass sie den Rest des Tages frei hatten. Sie seufzte. So war das
Leben. Was für den einen eine Katastrophe war, bedeutete für den anderen einen
unerwarteten Glücksfall. Die Patienten, die sie ohne Behandlung wieder nach Hause
schicken musste, hatten unterschiedlich reagiert. Zwei waren über den Aufschub
erleichtert gewesen, der Dritte eher verärgert, weil er nun ein weiteres Mal
herkommen musste. Am Telefon hatte sie bereits die drei nächsten Termine
abgesagt und sich dabei einiges angehört, als die Tür des Behandlungszimmers aufging
und die beiden Kripoleute herauskamen.
Zu ihrer Überraschung kamen sie auf
sie zu, statt sich zum Ausgang zu bewegen.
„Frau Wrede?“ fragte der Mann.
„Ja.“
„Wir hätten Sie gern einen Moment
gesprochen.“
Marius hatte also Recht gehabt.
„Natürlich. Wenn Sie vielleicht ein paar Minuten warten können, ich muss hier
noch ein paar Patienten anrufen. Sonst stehen die nachher vor der Tür und wundern
sich, dass die Praxis geschlossen ist.“
Eine Viertelstunde später saß sie
mit den beiden hinten im Büro, jeder einen Becher Kaffee vor sich. Sie nahm
sich eine Zigarette. „Stört es Sie, wenn ich eine rauche?“
Beide winkten ab, auch wenn sie bei
der Frau Unmut im Gesichtsausdruck entdecken konnte. Und wenn schon,
schließlich hatte sie gefragt. So steckte sie sich die Zigarette an. Herrlich,
dieser erste Zug. Sie rauchte nicht viel und in der Praxis eigentlich nie, vor
allem, weil Marius es nicht leiden konnte, aber heute gönnte sie sich mal eine
Ausnahme. Genau das Richtige, um die Nerven im Griff zu behalten.
„Ich denke nicht, dass ich der
richtige Gesprächspartner für Sie bin, wenn es um Sina geht.“
„Und warum nicht?“ Frau Siewers
wirkte interessiert.
Sie sah gut aus, fand Janine.
Dunkle Haare und blaue Augen war ohnehin eine Kombination, die sie ungeheuer
attraktiv fand, egal ob bei Mann oder Frau. Und sie war jung, wahrscheinlich jünger
als sie selbst. Dass sie Kommissarin war, hätte sie nie für möglich gehalten.
Sie wirkte eher wie eine Praktikantin, die überall mal reinschnuppern darf.
„Hat Almut es Ihnen noch nicht
gesagt?“
„Frau Keller meinen Sie? Wir beide
haben Frau Keller noch gar nicht kennen gelernt. Wissen Sie, wir arbeiten im
Team und teilen uns die Arbeit auf.“
Was war das für eine merkwürdige
Arbeitsweise? Aber was wusste sie schon von der Arbeit der Kripo außer dem, was
sie im Fernsehen zu sehen bekam? Und ob das immer so realistisch war, wie einem
alle weismachen wollten…
„Sina und ich, na eigentlich beide
Mädchen und ich, wir sind nicht gut miteinander ausgekommen.“
Frau Siewers hatte gerade einen
Schluck Kaffee genommen und stellte den Becher wieder ab. „Weil Sie die neue
Frau an der Seite des Vaters sind?“
Sie nahm einen weiteren Zug an der
Zigarette und klopfte die Asche auf einem kleinen Teller ab, den sie ansonsten
für ihr Frühstück benutzte. Dass Marius auch nicht mal einen Aschenbecher
besaß. Sie seufzte.
„Wahrscheinlich. Und weil Almut
davon ausgeht, dass Marius und ich schon ein Verhältnis hatten, als sie noch
verheiratet waren, denken die Mädchen das auch.“
„Obwohl es nicht so ist.“
„Genau.“
„Sie sagen, dass Sie nicht gut
auskamen. Was heißt das genau?“
Sie hatte gewusst, dass sie darauf
einsteigen würden, aber es war immer besser,
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