Die Mädchen (German Edition)
ja auch nicht mehr hin."
„Wie geht es Micha?"
Michael war der jüngste Bruder, der
das letzte Schuljahr des Gymnasiums besuchte.
„Ich sehe ihn kaum. Aber ich
glaube, er würde sich freuen, wenn du dich mal bei ihm meldest."
Philipp seufzte. Er hatte bereits
mehrmals den ersten Versuch zu einer Versöhnung unternommen, aber Michael war
nicht darauf eingegangen. Er hatte ihm nicht verziehen, dass er ein halbes Jahr
untergetaucht war und sich nicht bei ihm gemeldet hatte. Na, er hatte dafür
seine Gründe gehabt, die Michael scheinbar nicht interessierten. Philipp fand,
es war jetzt an ihm, den ersten Schritt zu tun. Es war allerdings schon
komisch, wie gut er sich plötzlich mit Gunnar verstand, mit dem er als Kind nur
wenig hatte anfangen können. Aber seit einem heftigen Streit vor ein paar
Monaten, dem ein Missverständnis vorausgegangen war, hatten sie sich mehr und
mehr angenähert und mittlerweile verstanden sie sich gut. So gut, dass sie sich
recht regelmäßig auf ein Bier trafen.
„Wenn er etwas von mir will, kann
er sich bei mir melden. Er hat ja meine Nummer."
„Du willst immer noch nicht mit
Mama und Papa reden? Ich meine, du wohnst ja nicht mehr bei diesem
Schlüter."
„Siehst du?" sagte Philipp.
„Es müsste denen scheißegal sein, bei wem ich wohne."
„Aber wenn sie wüssten, dass du
nicht schwul bist..."
Philipp hob die rechte Hand und
brachte seinen Bruder damit zum Schweigen. „Gunnar, darum geht es doch gar
nicht. Ich finde es gut, dass du versuchst, zu vermitteln, aber lass es bitte.
Das hat keinen Sinn. Es müsste ihnen scheißegal sein, wie ich mein Leben lebe,
wenn ich dabei glücklich bin. Solange sie das nicht verstanden haben, kann ich
ihnen nicht helfen."
Die Bedienung, ein Mädchen mit
bauchfreiem Oberteil trotz ansehnlichen Hüftspecks, kam mit Tee, Kaffee und
Saft und stellte die Getränke auf den Tisch. Mut hatte sie. „Essen kommt auch
gleich."
„Toll“, sagte Philipp und lächelte
ihr freundlich zu. Dann wandte er sich wieder seinem Bruder zu. „Wie läuft es
denn zwischen den beiden?“
Gunnar runzelte die Stirn. „Das
interessiert dich? Warum kommst du dann nicht wirklich mal ganz zwanglos
vorbei?“
Hatte er ihn nicht eben gebeten,
das zu lassen? „Das kann ich nicht. Nicht, solange Vater sich nicht bei mir
entschuldigt hat.“
„Okay. Aber du würdest überrascht
sein. Der Alte arbeitet an sich, wirklich. Ich hab mich in letzter Zeit
überhaupt nicht mit ihm streiten müssen. Und über Mutter wärst du total
überrascht. Sie ist regelrecht aufgeblüht, unternimmt total viel und trifft
sich mit Freundinnen und so, keine Ahnung, wo die auf einmal herkommen, und
Vater kommt damit anscheinend gut zurecht. Sie haben wohl irgendein Agreement
getroffen. Jedenfalls schläft sie auch wieder mit ihm im Schlafzimmer.“
Das war das letzte, das ihn
interessierte. Also wirklich, das Sexleben seiner Eltern mochte er sich nicht
mal im Entferntesten vorstellen. Er wechselte das Thema.
„Ich bin froh, dass du Zeit
hattest. Ich muss dir nämlich unbedingt was sagen. Mich hat es ganz schön erwischt."
Gunnar grinste zurück und zog dabei
eine Augenbraue hoch, wie er es so oft tat. Philipp hatte keine Ahnung, wie das
ging, obwohl er das sicher tausendmal vor dem Spiegel geübt hatte. Selbst
Michael, der aussah wie Gunnars jüngere Kopie, hatte das nie hinbekommen. Auch
wenn sie sich früher nicht gut verstanden hatten, war Gunnar immer irgendwie
ein Vorbild für Michael und ihn gewesen, was sie ihm natürlich nie gesagt hätten.
Jedenfalls konnte er sich gut erinnern, wie sie beide nebeneinander standen und
versuchten, ihren Bruder zu imitieren. Nicht, dass Philipp damit erfolgreich
hätte sein können, denn mit seinem blonden Haar und den blauen Augen stach er
zwischen seinen Brüdern komplett raus.
„Na, Glückwunsch. Wie heißt sie
denn?"
So. Das war ja klar. Wie konnte
Gunnar auch etwas anderes annehmen nach dem ganzen Theater mit Schlüter?
Philipp seufzte innerlich. Es nahte die Stunde der Wahrheit. Er war seit Wochen
damit schwanger gegangen, ob er seinen Bruder einweihen sollte und hatte es
immer wieder aufgeschoben. Aber irgendjemandem musste er einfach sagen, wie
glücklich er war, sonst wäre er noch geplatzt und einem Freund mochte er sich
noch nicht anvertrauen.
„Tee oder Kaffee?"
Gunnar hielt seine Tasse hoch.
„Kaffee, bitte."
Philipp schenkte ihnen beiden
Kaffee ein und gab für sich noch ein wenig Milch dazu.
Gunnar nahm einen Schluck.
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