Die Mädchen (German Edition)
sich mit
Tränen. Schon wieder. Ihre Stimme glich einem Schluchzen. „Ich will doch nur,
dass Merle wieder kommt.“
Er unterdrückte den Impuls, auf sie
zuzugehen und sie in den Arm zu nehmen, denn es hätte sie nur in eine peinliche
Situation gemacht. Zu weit hatten sie sich inzwischen voneinander entfernt, als
dass er unbefangen mit ihr umgehen konnte.
„Und das wird sie auch.“ Er gab
seiner Stimme einen überzeugenden Klang.
„Wieso bist du dir da so sicher?“
Sie wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. „Das hab ich mich heute schon
die ganze Zeit gefragt.“
Er hob und senkte die Schultern.
„Ich weiß es einfach.“
Weil er etwas wusste, wovon sie
keine Ahnung hatte und das hatte mit seinem Schwager zu tun.
Nachdem sie den Klassenraum
verlassen hatten, sah Doreen Siewers auf die Uhr. „Es klingelt in etwa zehn
Minuten. Es lohnt sich gar nicht, noch ins Lehrerzimmer zu gehen.“
Frau Sonntag hatte versprochen,
Jacqueline Tarnat noch ein bisschen länger im Klassenraum zu behalten, damit
sie ihr ein paar Fragen stellen konnten.
„Dann lass uns aber zumindest um
die Ecke gehen“, schlug Roman vor. „Es muss ja nicht sein, dass die anderen
Schüler mitbekommen, wie wir hier rumlungern.“
Sie bogen in den nächsten Gang ein
und stellten sicher, dass es dort keine Toilette gab und die Schüler nicht an
ihnen vorbei mussten, um auf den Schulhof zu kommen. Doreen sah sich um. „Ich
denke, hier können wir bleiben.“
„Und? Was meinst du?“ fragte Roman,
während er sich an die Wand lehnte.
„Zu unserem Auftritt gerade? Ich
finde, wir haben das gut hinbekommen.“
„Hast du auf Jacqueline geachtet?“
Frau Sonntag hatte ihnen vorher
gesagt, auf welchem Platz das Mädchen saß, weil sie sehen wollten, wie sie auf
die Ankündigung reagierte, dass ihre frühere Freundin verschwunden war. Doreen
hatte sie daraufhin unauffällig im Auge behalten, aber etwas Besonderes war ihr
nicht aufgefallen.
„Ja. Aber ich finde, sie hat nicht
anders reagiert als die anderen. So weit ich das beurteilen kann, jedenfalls.
Ich meine, sie sollte ja schließlich nicht merken, dass wir schon von ihr
gehört haben. Na, mal sehen, ob sie uns gleich was sagen kann.“
„Mir ist aber etwas anderes
aufgefallen“, sagte Roman. „Da war ein Junge. So ein hübscher Dunkelhaariger
mit gegelten Haaren. Der hat irgendwie komisch reagiert.“
„Was meinst du mit komisch?“
„Die anderen waren mehr
erschrocken. So nach dem Motto, die Polizei ist in der Schule. Aber der sah
irgendwie schuldbewusst aus. Und als er gemerkt hat, dass ich ihn ansehe, hat
er schnell nach unten geguckt.“
„Du weißt, dass das bei Teenagern
gar nichts heißt. Vielleicht hat der gestern irgendwo Zigaretten geklaut. Aber
wir können ja Frau Sonntag noch mal nach ihm fragen.“
Es klingelte und beinahe sofort
hörten sie, wie überall in dem Gebäude Türen aufgerissen wurden und Massen an
Schülern auf die Gänge strömten. Sie warteten zwei Minuten und gingen dann
zurück zu dem Klassenraum, in dem Frau Sonntag mit Jacqueline auf sie wartete.
Das Mädchen wirkte verunsichert. Sie war hübsch, aber noch sehr kindlich. Ihre
langen blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Sie
hatte große dunkle Augen, eine gerade Nase und einen schön geschwungenen Mund.
Die feste Klammer, die sie trug, zerstörte das hübsche Bild allerdings etwas.
„Du musst keine Angst haben“, begann Doreen beruhigend. „Wir
haben nur ein paar Fragen an dich.“
Roman fasste ihr an den Arm. „Ich
glaube, es ist besser, wenn ihr das allein besprecht.“ Er zwinkerte ihr fast unmerklich
zu und wandte sich dann an Frau Sonntag. „Vielleicht könnten Sie mir noch
weiterhelfen?“
Wenn sie überrascht war, ließ sie
es sich nicht anmerken. „Ist okay“, sagte sie nur und folgte ihm nach draußen.
Das Mädchen sah ihr nach und wirkte
dabei irgendwie verloren. Sie saß an einem Tisch in der ersten Reihe und hatte
die Beine übereinander geschlagen. Ihr rechtes Bein wippte, wobei ihre Ferse
ein klackendes Geräusch auf dem Boden fabrizierte. Sie schien das jedoch nicht
zu bemerken.
Doreen hatte Mitleid mit ihr. „Es
ist alles in Ordnung.“
Jacqueline wich ihrem Blick aus und
sah aus dem Fenster. Na, das konnte toll werden!
„Du kennst Merle schon lange, nicht
wahr?“
Sie nickte.
„Ihre Mutter hat uns erzählt, dass
ihr euch schon aus dem Kindergarten kennt.“
Wieder ein Nicken.
„Und habt ihr viel
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