Die Männer der Raumstation
Peer abschnittweise, wenn er schlechte Laune hatte, selbst las und sich halb kranklachte darüber.
»Hier«, sagte er und hielt Shahi das Heft hin, »ich hoffe, du kannst Englisch lesen?«
»Fließend«, sagte sie. »Steht da drin, was das eben bedeutete?«
»Mehr als ausführlich«, versprach Peer und machte sich unter den veränderten Verhältnissen daran, zwei große Tassen Kaffee zu brauen und auf einem Tablett ein Essen aus den Bordkonserven zusammenzustellen. Als er damit fertig war, tippte er Shahi auf die Schulter und bemerkte erschrocken, daß sie auf der letzten Seite war, dort, wo die total verblödeten Werbeanzeigen abgebildet waren.
»Hat es dir nicht gefallen?« fragte er und baute das Tablett zwischen den beiden Sesseln auf.
»Doch. Ich bin fertig. Erstaunliche Perspektiven haben sich mir geöffnet.«
»Aber – ich lese ziemlich schnell, aber in zehn Minuten schaffe ich ein solches Machwerk nicht.«
»Vermutlich liest du noch ganze Sätze?« fragte Shahi.
»Vermutlich«, sagte Peer bedächtig und betrachtete nachdenklich das zerlesene Heftchen. »Und du, Partner?«
»Doppelseiten. Wir sind speziell darauf trainiert worden. Wir würden sonst für unsere Aufgabe zu lange brauchen. Außerdem dauert unsere Zellenaufbereitung nur eine gewisse Zeit an. Dann werden wir für den Beruf der Pfadfinder unbrauchbar.«
Peer verstand nicht, was sie meinte.
»Hast du wenigstens gemerkt, daß die menschliche Psyche von derlei Äußerlichkeiten abhängt, wie sie hier so schön kitschig geschildert sind?« fragte er und deutete auf das Heft.
»Ja. Eine faszinierende Studie. Leider verstehe ich zu wenig von der Seele der Menschen hier, als daß ich mich äußern möchte. Bei uns ist alles ganz anders!«
»Wie schade!« erwiderte Peer.
Die Fahrt wurde fortgesetzt, während sie weiterhin über die Entwicklung der Technik diskutierten. Dann begann Peer zu fragen.
Daran erinnerte er sich jetzt. Daran und an viele ähnliche Szenen.
Das April-Schiff hatte einen fein säuberlich gezeichneten und mit genauesten Angaben versehenen Plan der Schwerkraftanlage mitgenommen und einen langen Brief an den Staranwalt der Raumpolizei. Die Bestätigung kam durch Funk und sagte aus, daß das Patent bereits angemeldet sei. Ferner würden sich einige Wissenschaftler mit den daraus zu entwickelnden Folgen beschäftigen – man konnte nicht nur künstlich Schwerkraft erzeugen, sondern auch das Gegenteil: Schwerelosigkeit. Die beiden Männer des Asteroiden schufen so einen neuen Fabrikationszweig, den der Antischwerkraftgleiter.
Die Beträge auf ihrem Verdienstkonto nahmen zu.
Das war nur ein Teil der gegenseitigen Hilfe ...
*
Peer VanCarbon saß da, schwieg und überlegte.
Jede Entwicklung, das wußte er wie selten ein anderer, ging niemals kontinuierlich voran. Sie steigerte sich bis zu einem Höhepunkt und wurde dann von Rückschlägen heimgesucht. Das zeigte die Grenzen auf und spornte an. Nur mutlose Menschen hören nach den ersten Widerständen auf. Die Entwicklung dieses silbernen Asteroiden begann mit dem ersten Januar, und heute war sie auf einem Höhepunkt angelangt. Alles schrie förmlich nach einer Zäsur, nach einem Zwischenfall.
Peer richtete sich etwas auf, beugte sich seitwärts aus dem Sessel und sah die Sterne an. Der Asteroid schwebte zwischen Jupiter und Saturn, knapp eine Milliarde Kilometer von der Sonne entfernt. Peer war ein außergewöhnlich mißtrauischer Mann; er ahnte, daß auf eine nicht näher zu bestimmende Weise eine Krise bevorstand.
»Die Natur«, zitierte Peer den alten Philosophen der Stoa, »hat uns aber zu beidem bestimmt: zur Betrachtung der Dinge und zum tätigen Eingreifen.«
Er stand auf.
Nach kurzem Überlegen drückte er einen Schalter nieder und hörte den Gong, der den Kontakt am anderen Ende der Leitung ankündigte.
»Partner Yolay«, sagte er. »Würdest du mich einmal besuchen?«
»Gern«, war die Antwort. »Ich schließe nur noch schnell eine Zeitlinie ab.«
»Ich warte im Büro.«
Sie trafen sich vor dem runden Schott. Peer entriegelte es und ließ Yolay vorangehen.
Einhundertzwanzig Tage hatten genügt, um die Beziehungen der zwei Gruppen zueinander grundlegend zu wandeln. Es herrschte ein vertrauter Ton, wie unter alten Freunden. Sie duzten sich, teilten einander ihre Probleme mit und suchten gemeinsam nach deren Lösungen. Es war nicht feststellbar, wer von beiden mehr profitiert hatte. Eines war klar – bereits die Antischwerkraft hatte die Technologie
Weitere Kostenlose Bücher