Die Maetresse des Kaisers
Tränen der Erleichterung und der Erschöpfung, als sie über die Schwelle in den kargen Raum trat. Es war mehr eine Hütte, in der sie Aufnahme fanden, aber es war ihr egal, wenn es ihr nur erlaubt wurde, ihre müden und kaputten Füße zu versorgen und auszuruhen.
Die Gruppe lagerte um ein kleines Feuer und teilte die letzten Reste des Brotes in ihrem Gepäck. Es gab frisches Wasser, und der Junge hatte es geschafft, ein paar Äpfel aufzutreiben. Gemeinsam wurde gegessen, getrunken, und nach einem Gebet fielen die Wanderer in einen erschöpften Schlaf.
Auch Giovanna konnte die Augen nicht länger offen halten. Sie hatte sich in eine stille Ecke des Raums zurückgezogen und ihre wunden Füße verbunden. Langsam ließ der Schmerz nach, und sie lag auf dem Stroh und versuchte ihre verspannten Muskeln zu lockern. Sie lauschte dem Schnarchen der anderen und vermeinte den Hufschlag eines Pferdes gehört zu haben, war aber viel zu müde, um lange darüber nachzudenken.
Im Traum sah sie Bianca und Lorenzo, die ihr als Pilger verkleidet entgegenkamen, und sie erblickte einen Trupp Reiter, der die beiden verfolgte. Sie wollte sie warnen, aber so laut sie auch rief, Bianca und Lorenzo schienen sie nicht zu hören, sondern gingen stur weiter und drehten sich nicht um. Giovanna spürte die Angst, die in ihr wuchs, und sie winkte ihnen zu, doch die Reiter kamen näher, ohne dass einer von beiden sie bemerkte.
Sie stieß einen Schrei aus und erwachte, aber der Traum war noch so gegenwärtig, dass sie meinte, immer noch die Hufe der Pferde zu vernehmen. Schlaftrunken setzte sie sich auf, und im selben Moment erkannte sie, dass ein Teil ihres Traums bittere Wahrheit war und die Reiter des Kaisers in das Haus stürmten.
»Aufstehen!«, brüllten sie. »Ihr seid verhaftet!«
Wer sich nicht schnell genug von seinem Lager erhob, den zerrten sie brutal auf die Füße und trieben ihn vor sich her. Giovanna fühlte, wie harte Hände sie an den Schultern packten, und sie schrie auf, als einer der Männer gegen ihren Fuß trat. Wie von Sinnen torkelte sie aus der Hütte in die kalte Dunkelheit der Nacht und ließ sich widerstandslos die Hände fesseln.
Sie hörte das Schluchzen der anderen und die ruhigen Gebete ihres Anführers. Die kleine Gruppe musste auf einen Holzwagen steigen, die Reiter saßen wieder auf, und gemeinsam setzte sich der Tross in Bewegung. Fackeln erleuchteten den Feldweg, und Giovanna konnte erkennen, dass einige Dörfler trotz der nächtlichen Stunde am Wegesrand standen und zusahen. Einer von ihnen musste sie verraten haben, und Giovanna fragte sich, was er dafür bekommen hatte. Vielleicht ein paar Münzen oder ein größeres Stück Land als Lehen.
Verrat war in ihren Augen das schlimmste Verbrechen, das ein Mensch begehen konnte, aber wer auch immer sich unter diesen Bauern als Judas entpuppen sollte, sie würde es nicht erfahren. Denn Giovanna wusste, dass sie dem Gefängnis entgegenfuhren, und ahnte ein schlimmeres Martyrium als die Qualen, die ihr ihre blutigen Füße bereiteten. Sie blickte in die Gesichter der anderen, die im Schein der Fackeln undeutlich und voller Schatten waren. Sie sah Verzweiflung, aber auch Standhaftigkeit, Mutlosigkeit, aber auch Vertrauen auf die Kraft ihres Glaubens.
Giovanna zitterte nicht nur vor Kälte, und sie zog ihren Umhang dichter an ihren Körper. Wenn es Hoffnung gab, konnte sie nur von Gott kommen. Und sie ergab sich in ihr Schicksal und betete, dass der Himmel sie erlösen möge.
E s hatte schon den ganzen Tag geregnet, und das Licht war bereits am Nachmittag so trüb, dass Bianca beim Schreiben Kerzen aufstellte. Sie war fasziniert von dem Buch, das die Äbtissin ihr zur Abschrift gegeben hatte. Sie hatte darauf bestanden, dass sie für die Gastfreundschaft der Ehrwürdigen Schwestern eine Gegenleistung brachte, und nach langem Sträuben hatte Clara von Siena ihr erlaubt, in der Schreibstube mitzuarbeiten.
Eine neue Welt hatte sich Bianca aufgetan, denn die Schwestern hatten verschiedene Werke über Pflanzen und ihre heilkundige Wirkung zusammengetragen und fügten auch eigene Beobachtungen und Forschungen hinzu.
Bianca hatte bislang einen Garten ausschließlich als Hort der Schönheit und Entspannung gesehen, aber nicht als eine Apotheke Gottes, in der Kräuter und Blumen wuchsen, die viele Beschwerden und Leiden kurieren konnten. Sie wusste natürlich, dass Salbei gegen schlechten Atem half, putzte sie doch jeden Abend ihre Zähne mit den graugrünen
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