Die Maetresse des Kaisers
Strähnen aus dem Gesicht. »Am besten setze ich sie mitsamt ihren Kleidern in den Badekübel«, sagte sie und ging mit Konstanze zu ihrem Zimmer auf der Westseite des Klosters.
Sie selbst sah inzwischen auch nicht präsentabler aus als das Kind. Ihr Haar, das sie offen und in der Mitte gescheitelt trug, hatte sich durch den Nieselregen in widerspenstige Locken gelegt, ihr Kleid wies deutliche Spuren von Gartendreck auf, ihre Hände waren voller Erde, und vermutlich hatte Konstanzes zärtliches Schmusen sogar in ihrem Gesicht Schmutz hinterlassen.
Gerade als sie ihre Tür öffnen wollte, hörte Bianca ihren Namen. Sie dreht sich um, und eine der Schwestern winkte ihr.
»Die Mutter Oberin schickt mich«, rief die Nonne. »Folgt mir, Ihr habt Besuch.«
Bianca hielt ihre Tochter fester und rührte sich nicht.
»Wer ist es denn?«, fragte sie vorsichtig.
»Ein Mann. Seinen Namen weiß ich nicht.«
O mein Gott, dachte Bianca, bitte lass es nicht Enzio Pucci sein. Bestimmt hatten die beiden Männer Spuren hinterlassen, die in dieses Kloster führten.
»Ein Mann? Wie sieht er aus?«
Die Schwester kicherte. »Stattlich, würde ich sagen. Habt keine Angst, die Äbtissin kennt ihn.«
Bianca fühlte ihre Knie zittern, und ihre Hände wurden vor Aufregung feucht. Alle Gedanken in ihrem Kopf formten sich zu einem: Friedrich war zu ihr gekommen. Er liebte sie immer noch.
Sie folgte der Schwester wie im Traum. Plötzlich dachte sie daran, dass sie keine Zeit gehabt hatte, Gesicht und Hände zu waschen, tastete nach ihrem Haar und fühlte die Nässe auf ihrem Kopf. Sie hatte sich ein Wiedersehen anders vorgestellt, voller Romantik und Leidenschaft, aber sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn sie hatten die Empfangshalle erreicht, und die Schwester stieß die Tür auf.
Bianca hatte sich vorgenommen, gemessen in die Halle zu schreiten, aber die Vorfreude auf Friedrich hatte ihre Schritte immer weiter beschleunigt, und so rannte sie fast über die Schwelle.
Ihr Blick flog durch den Raum, sie sah die Äbtissin im Gespräch mit einem großen Mann, der ihr den Rücken zukehrte, und sie lief ihm mit einem glückseligen Lächeln entgegen.
Dann drehte er sich um, und Bianca stockte der Atem.
Vor ihr stand ihr Bruder Manfred.
D ie Äbtissin zog sich diskret zurück. Die Schwester nahm Bianca das Kind ab, schloss leise die Tür und ließ die Geschwister allein. Keiner von beiden sprach ein Wort, die Vergangenheit hing zwischen ihnen wie eine undurchdringliche Nebelwand. Er war ihr fremd geworden, dieser Mann, den sie ihr ganzes Leben lang kannte, mit dem sie gelacht und gestritten hatte und der ihr – zumindest eine Zeitlang – Mutter und Vater ersetzt hatte. Sie horchte in sich hinein, ob sich ein Gefühl meldete, das an die frühere Bindung an ihren Bruder erinnerte, aber sie hörte nichts.
Wenn es jemals geschwisterliche Liebe zwischen ihnen gegeben haben sollte, so war sie auf der Flucht verlorengegangen und hatte nicht einmal mehr Brindisi erreicht. Wut und Groll waren längst in ihr gestorben, ebenso wie jede Form von Zuneigung. Sie ging ihm nicht weiter entgegen, aber schließlich brach sie ihr Schweigen.
»So hast du mich doch gefunden. Bist du in Enzios Auftrag hier?«, fragte sie bitter.
Manfred hob die Hände, streckte die Arme in ihre Richtung aus und ließ sie dann doch wieder sinken.
»Seit Enzio unsere Burg verlassen hat, habe ich nichts mehr von ihm gehört«, erwiderte er. »Ich war lange nicht mehr in der Heimat.«
»Warum soll es dir besser gehen als mir?«
»Bitte lass uns reden.«
»Ich glaube nicht, dass wir uns noch etwas zu sagen haben.« Bianca drehte sich um und wandte sich zum Gehen.
»Warte!«, rief ihr Manfred nach. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Bitte hör mir zu.«
»Woher willst du wissen, was oder wie ich fühle. Das hat dich früher nicht interessiert, und falls das anders geworden sein sollte, so geht es dich nichts mehr an. Du hast jedes Recht an mir als deiner Schwester verloren.«
»Ich weiß«, sagte er leise. »Und ich bitte dich um Vergebung.«
»Wenn du Absolution brauchst, kauf dir einen Ablassbrief oder, besser noch, fahr ins Heilige Land. Von mir wirst du sie nicht bekommen.«
»Was kann ich tun, damit du mir verzeihst?«
»Ach weißt du, ich glaube nicht an den Grundsatz: Alles verstehen heißt alles verzeihen. Du bist mein Bruder, aber das hat dich nicht davon abgehalten, mich wie ein Stück Vieh an einen nach nassem Fell stinkenden Schurken zu
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